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«Man soll das eine tun und das andere nicht lassen»

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01.01.2016
Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz Heks hat gestern eine Kampagne zu Brasilien lanciert und dazu die Website www.fragen-sie-ihn.ch aufgeschaltet. Warum gerade jetzt, was ist neu daran und was kostet es? Dieter Wüthrich, Leiter Medien und Information bei Heks, nimmt Stellung.

Alle Welt beschäftigt sich mit Flüchtlingen. Warum kommt jetzt Heks mit Brasilien?
Dieter Wüthrich: Heks unterstützt Flüchtlingsprojekte in verschiedenen Ländern. Angesichts der verständlichen Aufmerksamkeit für die Flüchtlinge drohen allerdings andere wichtige Themen der Entwicklungszusammenarbeit in Vergessenheit zu geraten. Da wollen wir mit unserer Kampagne ansetzen und die Menschen für die etwas aus dem Fokus geratenen Probleme sensibilisieren. Es gilt auch hier: Man soll das eine tun und das andere nicht lassen.

Und warum Brasilien?
Die langfristige Entwicklungszusammenarbeit von Heks will Menschen in Entwicklungsländern eine sichere Existenzgrundlage und damit eine Perspektive im eigenen Land ermöglichen. Das ist eine Grundvoraussetzung, dass sie ihre Heimat erst gar nicht verlassen müssen. Das zeigen wir exemplarisch mit unseren Projekten in Brasilien.

Die Kampagne fragt: «Macht Spenden Sinn?» Es ist klar, dass Heks zu einer positiven Antwort kommt. Hätte der Kampagne nicht ein bisschen mehr Überraschung gut getan?
Es geht nicht darum, unsere Zielgruppen und die breite Bevölkerung zu überraschen. Aus Kontakten mit Unterstützenden wissen wir, dass sich viele Menschen fragen, ob angesichts der Probleme und Krisen auf der Welt Spenden überhaupt Sinn macht und was sie mit ihrer Spende tatsächlich bewirken. Mit dieser Kampagne nehmen wir diese Bedenken ernst, und wir wollen den Leuten deshalb auch konkrete Antworten auf ihre Fragen geben.

In der Mitteilung zur Kampagne heisst es, man gehe «neue Wege im Dialog mit der breiten Öffentlichkeit». Auf der Kampagnenplattform hat es Videos und Berichte, und man kann Fragen stellen. Was ist denn neu?
Die Kampagne verfolgt einen neuen Ansatz, weil sie gleich als Einstieg die Fragen und Bedenken der Bevölkerung zum Sinn von Spenden ins Zentrum stellt. Neu ist auch, dass die Leute mit ihren Fragen zu Heks und zur Wirkung ihrer Spende direkt in einen Dialog mit Begünstigten und Mitarbeitenden treten können.

In einem der vier Kampagnenvideos wird vor allem der brasilianische Staat angeklagt. Ist es sinnvoll für die Förderung der Eigeninitiative, alles dem Staat anzulasten?
Auch in Brasilien gibt es in der Verfassung festgeschriebene Rechte, deren Umsetzung nun einmal prioritär in der Verantwortung des Staates liegen. Dieser kommt der Staat in vielen Fällen nicht nach. Und es ist Teil der Eigenverantwortung der Menschen, ihre Rechte einzufordern. Heks sieht sich hierbei in einer unterstützenden Rolle, indem wir und unsere Partnerorganisationen diesen Menschen zum Beispiel Rechtsbeistand bei der Einforderung leisten.

Was hat die Kampagne gekostet?
Die definitiven Kosten sind noch nicht bekannt. Grundsätzlich wollen wir die Verwaltungskosten so tief wie möglich halten. Ihr Anteil am jährlichen Gesamtbudget beträgt 14 Prozent, was im Branchenvergleich ein ausgezeichneter Wert ist. Davon entfallen 8 Prozent beziehungsweise rund 6 Millionen Franken auf die Kommunikation. Damit werden jährlich nebst anderem mehrere Kampagnen finanziert. Für die vorliegende Kampagne setzen wir rund 10 Prozent des jährlichen Kommunikationsbudgets ein.

In den Kurzvideos der Kampagne bringen alle Redner das gleiche Narrativ: Von bösen Konzernen und der landlosen Bevölkerung. Hätte nicht einmal gereicht?
Die in den Videos dargestellten Sachverhalte sind das zentrale Problem für die Menschen in den Projektgebieten von Heks in Brasilien. Deshalb ist es wichtig, dieses Problem aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Zudem bedarf es für eine Sensibilisierung der Bevölkerung einer exemplarischen Fokussierung.

In der Kampagne wird exemplarisch berichtet, eine Familie habe Land «besetzt», das ihr nachträglich legal zugesprochen wurde. Ist es sinnvoll, diesen Weg zu propagieren?
In der brasilianischen Gesetzgebung zur Landreform ist dieses Vorgehen zur Landumverteilung bereits angelegt. Land soll produktiv genutzt werden, der Staat kann Land, das nicht bewirtschaftet wird, enteignen und landlosen Bauern zusprechen. Leider ist der Landreformprozess von der Regierung in den letzten Jahren immer mehr vernachlässigt und der Eigeninitiative der Bevölkerung überlassen worden. Deshalb ist es wichtiger denn je, Basisorganisationen von landlosen Bauern bei ihrem Kampf um eigenes Land zu unterstützen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Die Kampagne

von Heks ist dem Cerrado gewidmet, der Savanne in Brasilien. Dem zweitwichtigsten Ökosystem des Landes droht durch die Expansion der Agrarindustrie zur «grünen Wüste» zu werden. Heks unterstützt dort Kleinbauern, deren Existenz durch den Raubbau der Agrarindustrie bedroht ist.


Zum Bild: Cido und seine Frau Elei: Zwei Kleinbauern im brasilianischen Cerrado.
Foto: Heks/Christian Bobst

Matthias Böhni / ref.ch / 15. Oktober 2015

Links:
Kampagnen-Website des Heks

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