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Tschäppät, Blocher, Hohler, Mauch zur Volkskirche

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01.01.2016
Was wäre, wenn es die Volkskirche nicht mehr gäbe? Im neuen Buch «Volkskirche und Kirchenvolk» haben sich Fachleute ausführlich und Prominente sowie weitere Personen kurz dazu geäussert. Wir bringen hier eine Auswahl der kurzen Stimmen.

Petra Ivanov, Journalistin und Schriftstellerin, Zürich
Wenn die Volkskirche fehlt, fehlen Ohren, die hören, was andere nicht hören wollen. Augen, die sehen, was andere nicht sehen wollen. Es fehlen Gartenstühle auf der Wiese vor der St. Jakobskirche in Zürich. Das Kerzenziehen im Kirchgemeindezentrum. Beiträge an Hilfsprojekte. Es fehlt eine verlässliche Partnerin.

Corine Mauch, Stadtpräsidentin, Zürich
Die Reformation liess in Zürich eine Staatskirche entstehen, zu der über Jahrhunderte alle Bürgerinnen und Bürger ganz selbstverständlich gehörten. Heute ist Zürich eine multikulturelle und darum auch eine multireligiöse Stadt. Das reformierte Kirchenvolk ist in der Minderheit, und die Gruppe der religiös ungebundenen oder religionslosen Menschen wächst. Das Konzept der Volkskirche aber bleibt relevant, insofern sie nach dem Wohl der Menschen und ihrer Gemeinschaft fragt und die Vielfalt von Glaubens- und Lebensformen anerkennt. Und demokratisch organisiert ist! Gerade in einer Zeit, die von ethischer Beliebigkeit geprägt ist und religiösen Fundamentalismus hervorbringt, der selbst vor extremer Gewalt nicht zurückschreckt, gewinnen die Errungenschaften der Volkskirche an Bedeutung.

Jori Schwarzel, Geograf und Landammann, Klosters
Die Volkskirche hilft, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten. Sie gibt vielen Menschen Halt, die nach dem Sinn im Leben suchen. Ohne eine demokratisch legitimierte Volkskirche sind Suchende noch stärker gefährdet, durch falsche «Prediger» verführt zu werden.

Christoph Stiefel, Komponist und Jazzpianist, Zürich
Ohne Volkskirche fehlte ein wichtiger Teil der spirituellen und kulturellen Identität unserer Gesellschaft.

Christoph Blocher, Unternehmer und Politiker, Herrliberg
Was fehlte der Kirche, wenn sie keine Volkskirche wäre?
1. Im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums (Vers 10) wird der Beginn der öffentlichen Verlautbarung des Evangeliums der verbindlichen Grundlage der evangelischen Kirche mit dem Ausruf des «Engels» festgelegt: «Seht, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird »
2. Damit sind das Wesen, der Auftrag und das verbindliche Umfeld der Kirche gegeben: Die Kirche hat grosse Freude zu verkündigen und zwar die, die allem Volk widerfahren wird
3. Kirche ist per definitionem! von selbst Volkskirche, nämlich Kirche allen Volks: Ist die Kirche nicht (mehr) «allen Volks», so ist sie auch nicht (mehr) Kirche! So einfach ist das

Res Strehle, Journalist und Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», Zürich
Ich bin seit DDR und Blocher immer etwas skeptisch, wenn der Begriff «Volk» verwendet wird, im Fall der Volkskirche kann ich ihm jedoch etwas abgewinnen: Fehlen würde ohne sie ein Teil des sozialen und seelsorgerischen Engagements in unserer Gesellschaft, je weniger Mission und Dogma damit verbunden sind umso überzeugender für mich.

Erika Frei, Ergotherapeutin, Winterthur
Was ich vermissen würde: Dass es einen Ort gibt, wo niemand verurteilt wird, egal was jemand gemacht hat. Wo jeder und jede ein eigenes Jesusbild und Gottesbild haben kann. Wo man keine Leistung bringen muss. Wo Respekt und Achtung die tragenden Pfeiler sind.

Franz Hohler, Kabarettist und Schriftsteller, Zürich
Wenn wir die Kirchen nicht hätten, hätten wir auch die Räume der musikalischen Andacht nicht, in denen wir Messen, Kantaten und Choräle aufführen und anhören können, die jenen Gott preisen, an den wir kaum mehr glauben und den wir doch so sehr vermissen.

Fritz Hösli, Leiter der Untersuchungsgefängnisse, Zürich
Privat bin ich der Volkskirche verbunden, ich bin mit meiner Familie dabei. Wir gehen nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber immer wieder, manchmal passt es, manchmal auch nicht. Dank der Kirche haben die Menschen einen Ort für Stille. Mit der Politik bin ich nicht immer einverstanden, die Kirche sollte den Einheimischen etwas mehr schauen, nicht nur in die Welt hinaus. Aber sie macht einen guten Job. Auf meine Arbeit bezogen bin ich sehr froh um die Volkskirche. Die Gefängnispfarrer sind eine wichtige Entlastung für uns. Wir haben jemanden, der neutral mit den Insassen reden kann. Nicht nur über unsere Angelegenheiten, auch über Gott und die Welt. Wenn es Probleme gibt, können wir sie jederzeit beiziehen. Das Vertrauen ist wichtig. Manche Kollegen sind etwas misstrauisch. Man sollte ihnen begreiflich machen, dass die Kirche uns da wirklich nützlich ist.

Alexander Tschäppät, Stadtpräsident, Bern
Fehlt dem Volk die Kirche, ist das bitter. Schlimmer aber ist, wenn der Kirche das Volk fehlt. Drum vergesse die Kirche nie, wer und wo das Volk ist. Damit die Kirche im Dorf bleibt. Und das Volk in der Kirche.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Buchhinweis: Volkskirche und Kirchenvolk. Ein Zwischenhalt. Herausgegeben von Claudia Kohli Reichenbach und Matthias Krieg (denkMal, Band 8). Mit Beiträgen von Alfred Aeppli,Jost Wirz, Martin Rose,Christiane Tietz, Sabrina Müller, Benedict Schubert, Ulrich Luz, Christina Aus der Au, Urs Meier, Andreas Zeller und anderen. Erscheint Ende Oktober. Theologischer Verlag Zürich 2015, 160 Seiten, Paperback, 26 Franken.


Zum Bild: Volkskirche wohin? Nicht nur auf dem Cover des neuen Buches wird darüber nachgedacht.

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