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Schweizer sind skeptisch gegenüber Fortpflanzungsmedizin

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01.01.2016
Eine repräsentative Umfrage von «reformiert.» zeigt: Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer will am Anfang des Lebens nicht alles erlauben, was machbar ist. Dies relativiert das Ja zur Abstimmung über Präimplantationsdiagnostik (PID) vom vergangenen Juni.

Die Fortpflanzungsmedizin macht vieles möglich, stellt die Menschen aber auch vor schwierige ethische Entscheidungen. «reformiert.» wollte herausfinden, was die Schweizerinnen und Schweizer von Leihmutterschaft, leiblichen Kindern für gleichgeschlechtliche Paare und Social Freezing halten. Und was sie grundsätzlich über die Fortpflanzungsmedizin denken.

In einer repräsentativen Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Demoscope 1003 Personen befragt. Der Grundtenor: Mehr Ablehnung als Zustimmung für neue Möglichkeiten, aber auch kontroverse Ergebnisse. Was unbestritten ist: Geschlechterselektion darf nicht sein. 86 Prozent der Befragten finden es richtig, dass künstlich gezeugte Embryonen nicht nach Mädchen und Junge ausgewählt werden dürfen.

Nicht alles testen
Ganz im Sinne der Befragten dürfen mit der Präimplantationsdiagnostik, die das Volk im Juni guthiess, weder das Geschlecht noch bestimmte Körpermerkmale des Embryos ausgewählt werden. Das neue Gesetz erlaubt nur Tests auf schwere Erbkrankheiten und Chromosomenstörungen. Doch auch diese sind umstritten. Der Evangelische Kirchenbund beispielsweise begrüsst das Referendum zum Fortpflanzungsmedizingesetz.

Ist das Umfrage-Nein zur Geschlechterwahl auch eine klare Absage ans Baby nach Wunschkatalog? Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts Dialog Ethik, ist skeptisch. «Schon jetzt sind Selektionen im Grenzbereich zwischen Gesundheit und Krankheit erlaubt, die der Menschenwürde widersprechen und die vor einiger Zeit noch klar abgelehnt worden wären.» Heute seien theoretisch 700 bis 800 Eigenschaften testbar, zum Beispiel spätere Krankheiten wie bestimmte Brustkrebsformen.

Nicht jederzeit ein Kind
Ebenfalls kritisch äussert sich eine Mehrheit in der Umfrage zum sogenannten «Social Freezing», das 67 Prozent ablehnen. Bei diesem Verfahren lassen Frauen ohne medizinischen Grund eigene Eizellen einfrieren, um durch künstliche Befruchtung zu einem gewählten Zeitpunkt später schwanger werden zu können.

Bisher wurde das Verfahren vor allem angewandt, wenn der Frau wegen einer Krebstherapie die Unfruchtbarkeit drohte. Die Nachfrage nach der Eizellenvorsorge aus rein familienplanerischen Gründen, die auch an Schweizer Unispitälern angeboten wird, ist zwar noch nicht riesig. «Sie wird aber zunehmen», sagt der Reproduktionsmediziner Jean-Claude Spira.

In seinem Kinderwunschzentrum in Basel lassen sich rund fünf Frauen im Monat über Social Freezing beraten, etwa drei von ihnen entscheiden sich dafür. Sie tun dies meist, weil sie noch keinen Partner haben und ihre biologische Uhr tickt. Ob eine In-vitro-Fertilisation mit den eingefrorenen Eizellen dereinst erfolgreich sei, hänge von vielen Faktoren ab, sagt Spira. Er plädiert dafür, die Familie genauso früh zu planen wie die Karriere: «Eine natürliche Schwangerschaft ist immer noch die beste Wahl.»

Keine Leihmütter
Frauen, die im Auftrag eines Paares ein Kind austragen, tun das nur in wenigen Ländern legal. In der EU ist es in 13 von 28 Staaten (teils eingeschränkt) erlaubt, in den USA in 18 von 50 (Stand 2014). Ein Blick in die Antworten der Schweizer und Schweizerinnen zeigt, dass offenbar die Region, das Alter und die Verbundenheit zum Glauben in dieser Frage entscheidend sind. Dass es in der Schweiz verboten ist, Kinder von einer Leihmutter austragen zu lassen, finden insgesamt 58 Prozent der Befragten richtig.

In der Welschschweiz ist aber nur die Hälfte dieser Meinung, in der Deutschschweiz sind es hingegen 60 Prozent. Am klarsten gegen Leihmutterschaft sind ältere Personen (ab 55 Jahren) und jene, die sich selbst eng mit ihrem Glauben verbunden fühlen. Am wenigsten Bedenken in der Frage der Leihmutterschaft haben offensichtlich die Jungen: Die Hälfte der 15- bis 34-Jährigen sähe das Leihmütterverbot lieber abgeschafft, 43 Prozent sind mit dem Verbot einverstanden.

Keine Wunschkinder für Homosexuelle

Dass gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz keine Kinder zeugen lassen dürfen, finden in der «reformiert.»-Umfrage 55 Prozent richtig. 37 Prozent sind der Meinung, dass es erlaubt sein sollte. Ein klareres Ja zum Verbot aber äussern auch hier wiederum ältere und mit ihrem Glauben eng verbundene Personen.

Unter den Christinnen und Christen gibt es relativ grosse Unterschiede: Nur etwas mehr als die Hälfte der Evangelisch-Reformierten (53 Prozent) finden das Verbot richtig. Bei den römisch-katholischen Personen sind es bereits 58 Prozent. Mitglieder «anderer christlicher Kirchen» befürworten das Verbot mit klaren 66 Prozent. Hier dürfte sich der Einfluss von Freikirchen zeigen, die der Homosexualität tendenziell kritisch gegenüberstehen.

Am deutlichsten in die andere Richtung äussern sich die 15- bis 34-Jährigen. 53 Prozent finden, gleichgeschlechtlichen Paaren sollte es erlaubt sein, Kinder zeugen zu lassen. Fast ebenso hoch, nämlich 49 Prozent, ist der Anteil der Zustimmenden bei Menschen ohne religiöse Bindung.

Tendenziell überfordert
Obwohl die Schweizerinnen und Schweizer an der Urne entscheiden, wie die Fortpflanzungsmedizin geregelt werden soll, fühlen sie sich überfordert: 58 Prozent sind mit der entsprechenden Aussage einverstanden, 35 Prozent nicht.


Zum Bild: Mädchen oder Junge? Die Mehrheit in der Schweiz ist gegen das Baby nach Wunschkatalog.
Foto: Fotolia

Christa Amstutz, Marius Schären / reformiert.info / 29. Oktober 2015

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