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Genozid-Urteil: Kirchen bleiben bei ihrer Haltung

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01.01.2016
Für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz das Recht auf freie Meinungsäusserung eines Genozid-Leugners verletzt. Das Urteil, das das Leugnen des Genozids an den Armeniern öffentlich erlaubt, stösst bei den Kirchen und den jüdischen Gemeinschaften auf wenig Verständnis.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz wirft hohe Wellen. Die Grosse Kammer des EGMR bestätigte kürzlich in zweiter Instanz, dass die Schweiz die freie Meinungsäusserung des türkischen Staatsangehörigen Dogu Perinçek verletzt habe. Perinçek hatte 2005 den Genozid an den Armeniern in der Schweiz öffentlich geleugnet und war wegen Verletzung der Rassismusstrafnorm verurteilt worden.

Verhöhnung der Überlebenden
Bei den Kirchen und den jüdischen Gemeinschaften stösst das Urteil aus Strassburg auf Unverständnis. Für den Kirchenbund SEK hat sich durch den erneuten negativen Entscheid an der eigenen Position nichts geändert. Bereits 2014 hielt SEK-Präsident Gottfried Locher in einem Brief an Bundesrätin Simonetta Sommaruga fest: «Unabhängig von juristischen Urteilen und politischen Abwägungen bedeutet die Relativierung des geschehenen Menschenunrechts eine unerträgliche Verhöhnung der Überlebenden. Das ist mit einer auf Recht und Freiheit gründenden Weltgemeinschaft unvereinbar.» Als Zeichen lud der SEK im September zur Nationalen Gedenkfeier an den Armenier-Genozid ins Berner Münster. An der Feier nahm der armenische Katholikos Aram I. teil.
Auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund bedauert den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs ebenso wie die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz. Beide halten fest, dass die Leugnung eines Genozids weiterhin strafbar bleibe, «wenn dabei die betroffene ethnische oder religiöse Gruppe gezielt herabgesetzt oder zu Hass gegen sie aufgerufen wird». Und kürzlich bezeichnete Papst Franziskus den Tod von Hunderttausenden Armeniern vor hundert Jahren als «Genozid». «Das Böse zu verbergen oder abzustreiten, ist genau so, wie eine Wunde bluten zu lassen, ohne sie zu bandagieren», erklärte der Pontifex.

Historische Fakten sind kein Thema
In seinem Urteil ging der EGMR nicht auf die Frage nach der historischen Existenz des Genozids an den Armeniern ein. Er hielt dazu lediglich fest, dass es darüber keinen internationalen Konsens gebe, weil nur 20 von 190 Staaten die damaligen Gräueltaten und Vertreibungen als Völkermord anerkennen. Seit 2003 gilt der Massenmord an den Armeniern in der Schweiz als «Genozid». In einem Memorandum setzten sich damals die drei christlichen Landeskirchen für die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern im Jahre 1915 ein.


Zum Bild: Zu Besuch in Bern: Der armenische Katholikos Aram I bei Kirchenbundspräsident Gottfried Locher. | zvg

Franz Osswald / ref.ch

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