Weihnachten nach Weihnachten feiern
«Stille Nacht» scheppert es aus den Lautsprechern der Kaufhäuser, Samichläuse stehen inflationär an jeder Ecke, der Migros-Adventskalender präsentiert täglich Sonderangebote zum halben Preis, Coop einen Adventskalender aus 24 Bierdosen. Die Wirtschaft hat Advent und Weihnachten fest im Griff. Für Pfarrer Christoph Möhl ist das ein Etikettenschwindel. Das Geburtsfest Christi werde kompromittiert, wenn das Dezember-Geschäft und die christlichen Feiern genau gleich heissen: Weihnachten.
Die Kirchen müssten aus dieser Umklammerung ausbrechen und die vier Wochen des Advents als Zeit der Besinnung auf das kommende Reich des Friedens und der Gerechtigkeit begehen, fordert der Pfarrer. Statt mit Veranstaltungen in der Vorweihnachtszeit mitzuhalten, sollte sich die Kirche auf die Tage nach Heiligabend konzentrieren. Dann, wenn der Geschäftsrummel vorbei ist.
Zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar könnte die Kirche Akzente setzen, die ihrer Botschaft entsprechen, so Möhl. Die zehn Tage bis zum Fest der Erscheinung des Herrn am 6. Januar, in denen die Schulen und viele Betriebe Ferien haben und der Konsumrausch vorbei ist, böten sich an für Konzerte, Theater, Meditationen in den Kirchen.
Für Möhl kam es im 4. Jahrhundert zum «Sündenfall in der Kirchengeschichte», als der römische Staat das Christentum für seine Zwecke vereinnahmte. «Weihnachten bürgerte sich erst nach der konstantinischen Wende im Westen ein.» «Die ersten drei Jahrhunderte blieb die Christenheit ohne Weihnachten. Das war auch das Zeitalter, in dem die christliche Gemeinde am lebendigsten war», sagt Christoph Möhl.
Die bürgerliche Familienfeier sei freilich sehr jung auf dem Lande setzte sich der Christbaum gar erst nach 1900 allgemein durch. «Heute hat anstelle des Staates die Wirtschaft Weihnachten im Griff.»
Christbaum raus aus den Kirchen
Der ehemalige Medienbeauftragte der Zürcher Landeskirche und Chefredaktor der Reformierten Presse rät der Kirche zu einem bewussteren Umgang mit den Weihnachtssymbolen. Er weist darauf hin, dass viele keinen christlichen Hintergrund haben: Der Tannenbaum ist germanischen Ursprungs und das Geburtsfest Christi legte man im 4. Jahrhundert auf den Tag des römischen Sonnengottes. Und 1535 erfand Martin Luther das Christkind als Ersatz für den Heiligen Nikolaus, der die Kinder bescherte. Das alles habe mit dem christlichen Glauben wenig zu tun, betont Möhl.
Er plädiert dafür, dass man die christlichen Symbole wieder stärker in den Vordergrund rückt: Etwa den Adventskranz, den der Pastor Heinrich Wichern 1839 erstmals aufhängte, und den Herrnhuter Stern. «Den buchstäblich abgewirtschafteten Christbaum könnte man dann sukzessive ausmustern und den Warenhäusern überlassen.»
Die Forderung von Christoph Möhl ist nicht neu. Schon sein Schwiegervater, der Kirchenhistoriker Fritz Blanke, übte 1947 scharfe Kritik am Weihnachtsgeschäft. «Die Äusserlichkeiten stehen an Weihnachten im Mittelpunkt. Weihnachten ist zu einem Jahrmarkt geworden.»
Kirchengeschichtlich steht Möhls Anliegen in der reformierten Tradition. Die reformierten Kirchen lehnten alle nichtbiblischen Feiern ab. John Knox verbot 1560 in Schottland alle kirchlichen Feste, so auch das Weihnachtsfest. Bis ins 20. Jahrhundert hielten sich die schottischen Presbyterianer daran.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «Interkantonaler Kirchenbote», «ref.ch» und «reformiert.».
Zum Bild: Pfarrer Christoph Möhl: «Heute hat die Wirtschaft Weihnachten im Griff.»
Foto: Zuber/Kirchenbote
Tilmann Zuber / Kirchenbote / 22. Dezember 2015
Weihnachten nach Weihnachten feiern