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Die grosse Migration und die Roma-Frage spaltet Europa

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01.01.2016
Am Heks-Osteuropatag war der reformierte slowakische Bischof Làszlò Fazekas ein gefragter Mann. Im Interview erklärt er, warum Osteuropa gegenüber Flüchtlingen eine harte Linie fährt und wie die slowakischen Reformierten den diskriminierten Roma helfen, aus der sozialen Sackgasse herauszufinden.

Amnesty und Human Rights Watch stellen regelmässig die Slowakei wegen der Diskriminierung der Roma an den Pranger. Zu Recht?
Làszlò Fazekas: In den vergangenen Jahren sind in der Slowakei die sozialen Netze besser geworden auch für die Roma. Was als grosses Problem bleibt: Die Roma leiden unter einer extrem hohen Arbeitslosigkeit. Dies ist aber ein gesamtgesellschaftliches Problem, das viele andere Menschen in den strukturschwachen Gebieten ebenso betrifft.

Die reformierte Kirche der Slowakei hat mit Unterstützung des Hilfswerks Heks ein Roma-Programm aufgebaut. Worauf sind die Aktivitäten ausgerichtet?

Drei reformierte Gemeinden haben sich verpflichtet, einen Beitrag zur sozialen Integration der benachteiligten Roma zu leisten. Wir setzen vor allem bei den Kindern an, organisieren schulischen Förderunterricht. Aber wir laden die Roma-Kinder auch zu Kinderlager, Bibelstunden und Gottesdiensten ein.

In das soziale Engagement Ihrer Kirche spielt also durchaus das religiöse hinein?
Das ist so und wir glauben, dass das religiöse Bindeglied ganz wichtig ist. Es gibt eine Studie der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, welche die hohe Erfolgsquote von religiös inspirierten Integationsprojekten ausweist.

Und mit der Botschaft der Nächstenliebe können Sie zudem an die reformiert Gläubigen appellieren, Vorurteile abzubauen.
Das ist uns ganz wichtig, dass wir auch unsere Gemeindemitglieder sensibilisieren. Das sorgt durchaus für einige Spannungen. Unsere Botschaft ist: Wir sind alle Geschöpfe Gottes. Und viele Familien senden ihre Kinder mit ins Sommerlager, obwohl dort die Roma-Kinder in der Mehrheit sind.

Vielleicht fällt es der ungarischen Minderheit von Reformierten in einer slowakischen und katholischen Mehrheitsgesellschaft leichter auf die Roma zuzugehen?
Unbedingt. Wir wissen was es heisst, aufgrund einer anderen Kultur und Sprache ausgegrenzt zu werden.

Die Beziehungen der slowakischen Reformierten zu Ungarn sind noch recht stark. In der von Ungarischstämmigen gegründeten reformierten Kirche der Slowakei hängen ungarische Flaggen. Ist der ungarische Ministerpräsident bei den ungarischen Minderheiten in der Slowakei beliebt?

Ihm werden grosse Sympathien entgegengebracht, gerade weil er auf das traditionelle Wertesystem setzt. Uns gefällt auch, dass Orban der Kirche als Vermittler von Werten eine besondere Rolle im gesellschaftlichen Leben einräumt.

Sind es die Werte, die den Graben zwischen Westeuropa und Osteuropa derzeit vertiefen?
Ich denke, die Werte sind ganz entscheidend. Wir wollen stärker die Traditionen bewahren, während der Westen eine total offene Gesellschaft will.

Und dass Orban wie übrigens auch der slowakische Regierungschef Robert Fico sich gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen sperrt, macht ihn ebenfalls populär?

Jeder, der wirklich von Lebensgefahr bedroht ist, soll bei uns Zuflucht finden. Aber es ist bequem, nun den moralischen Zeigefinger gegen Orban zu richten. Die meisten EU-Länder sitzen doch im Glashaus und haben bis auf Deutschland und Schweden keine grosse Zahl von Flüchtlingen aufgenommen. Ganz anders Ungarn. Aber wenn Ungarn das Dublin-Abkommen unterschrieben hat, dann hat es doch das Recht von den Flüchtlingen zu fordern, regulär die Grenze zu überqueren. Warum wollen sie das nicht? Weil sie nicht in den ehemals sozialistischen Staaten Asyl suchen, sondern in die wohlhabenden Länder wollen. So bleibt doch die Frage offen: Sind sie nun an Leib und Leben bedroht oder suchen sie einfach aus wirtschaftlichen Gründen das bessere Leben in Europa?

Eine andere Frage bleibt auch offen: Verkörpert eher die evangelische Pastorentochter Merkel die Idee des christlichen Abendlands oder Orban, der das Abendland mit einem Bollwerk vor der Islamisierung retten will?
Ich möchte nicht Frau Merkels christliche Motive anzweifeln. Aber vielleicht spielen in in ihren Überlegungen zur Öffnung der Grenzen in noch viel grösserem Umfang die demographischen Probleme Deutschlands mit. Mittelfristig könnte doch durch den massiven Geburtenrückgang dort das Wirtschaftsleben wie auch das Rentensystem gestört werden.

Glauben Sie, dass die Europäische Union auseinanderbricht?
Das hoffe ich nicht. Denn für uns als ungarische Minderheit war es ein grosser Gewinn, dass die EU auf das «Europa der Regionen» und auf Minderheiten aufbaut. So haben sich beispielsweise alle ungarisch sprechenden reformierten Kirchen zusammengeschlossen.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Làszlò Fazekas
Der Bischof der Reformierten in der Slowakei Làszlò Fazekas, hat in Prag und Halle studiert. Während seiner Studienzeit in der für die DDR-Kirche so turbulenten Phase der Friedensbewegung hat er Deutsch gelernt. Seit 2009 ist er Bischof und steht damit ungefähr 100 000 Reformierten vor. Mehrheitlich gehören der reformierten Kirche Mitglieder mit ungarischen Wurzeln an. Die meisten Gemeinden finden sich entlang der Grenze zu Ungarn.
Bischof Fazekas räumt ein, dass unter der ungarischen Minderheit das Slowakische immer stärker wird. Deshalb werden heute nicht nur in den slowakischen Gemeinden, sondern auch in den ungarischen Minderheitsgebieten immer öfter Trauungen, Taufen und Beerdigungen zweisprachig erbeten. Ein grosses Problem ist die Finanzierung der Pfarrer. Seit 1949 werden sie vom Staat besoldet und ihr Salär liegt heute bei der Erstanstellung beim slowakischen Mindestlohn und kommt selten über den durchschnittlichen Lohn eines ungelernten Arbeiters von 880 Euro.


Zum Bild: Bischof Làszlò Fazekas
Foto: Delf Bucher

Delf Bucher / reformiert.info / 25. Januar 2015

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