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«Lieber die Geige als die Waffe in der Hand»

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01.01.2016
Schweizerisch-palästinensische Freundschaft musikalisch untermauert: Der Singkreis Wohlen führt zusammen mit jungen Musikern des Edward-Said-Konservatoriums das Weihnachtsoratorium von Bach auf.

Palästinensische junge Musiker führen zusammen mit dem Singkreis Wohlen das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in der Schweiz auf. Zuvor gab es Konzerte in Jerusalem, Bethlehem und Ramallah. Wie kam es zu diesem musikalischen Zusammenspiel?
Dieter Wagner: Die bernische Kirchgemeinde Wohlen pflegt bereits seit 1998 eine Partnerschaft mit Beit-Jala, nahe Bethlehem gelegen. Gemeindepfarrer Ueli Haller, die treibende Kraft bei diesem Austausch, sagte einst einmal im Scherz: «Lasst uns doch einmal Bachs Weihnachtskantaten in Bethlehem aufführen.»

Und aus dem Traum wurde plötzlich Wirklichkeit?
Ja. Wir haben die Vorlage aufgenommen. Das Ehepaar Schittny und ich wollten vor eineinhalb Jahren prüfen, ob es mehr als ein Hirngespinst ist. Wir sind ins Flugzeug gestiegen, um das musikalische Terrain zu sondieren. Unsere kirchlichen Projektpartner in Beit-Jala machten uns auf das Edward-Said-Musikkonservatorium aufmerksam. Die waren von der Idee ebenso begeistert wie wir. Die Sache nahm Konturen an und dann sagte noch der lutherische Bischof von Jerusalem zu, dass wir in der Auguste-Victoria-Kirche auf dem Ölberg auftreten können.

2016 nach Palästina und Jerusalem zu reisen: Haben da die Chormitglieder des Singkreises Wohlen beim Koffer packen nicht ein mulmiges Gefühl gehabt?
Natürlich stand durch die politische Eskalation in den Monaten vor unserer Abreise unser Projekt unter einem ungünstigen Stern. Wir hätten die Reise abgesagt, wenn sich die Gewaltspirale weiter nach oben bewegt hätte. Indes haben wir eine problemlose Reise erlebt, wie sie wahrscheinlich derzeit an nur ganz wenigen Orten im Nahen Osten möglich ist.

Politische Begleitumstände werden Sie und den Singkreis Wohlen bei der Reise dennoch begleitet haben.
Es war schon ein beklemmendes Gefühl immer wieder dem endlosen Betonband zu folgen, das die Palästinenser einmauert. Etwas mit eigenen Augen zu sehen, ist eben doch anders, als es über Fernsehbilder vermittelt zu bekommen.

Aber Sie haben doch in der Auguste-Victoria-Kirche in Jerusalem konzertiert? Die palästinensischen Musikerinnen und Musiker haben also die Mauer problemlos überwunden.
Problemlos nicht. Wir haben die Schweizer Botschaft eingeschaltet und noch kurz vor der Abfahrt sah es so aus, dass fünf Musiker des Orchesters keine Visa erhalten würden. Im letzten Moment kam dann die Zusage. Das ist das Wunder der Musik, das so etwas möglich macht. Für die jungen Musiker war es ein Erlebnis der besonderen Art - zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie in Jerusalem und konnten zudem noch auf dem Ölberg auftreten.

Ist es für die jungen Leute aus Palästina kein Problem, Bach sche Hymnen auf das Jesuskind anzustimmen? Oder sind die Mitglieder des Orchesters vorwiegend christliche Palästinenser?
Da muss ich Sie mit einer Antwort enttäuschen. Ich weiss wirklich nicht, wer von den Musikern welcher Religion angehört. Die Religion spielte in unseren Gesprächen nie eine Rolle. Nur die Musik. Die jungen Leute waren richtig gierig nach Bach.

Musik sozusagen als friedensstiftende Weltreligion?
Nun, Religion will ich nicht sagen. Aber friedensstiftend ja. Das ist auch eine der Grundideen des Edwin-Said-Konservatoriums. Wer ein Musikinstrument in die Hand nimmt, der nimmt keine Waffe in die Hand. Wir haben uns auch fest vorgenommen, das Konservatoriumsprojekt weiter zu unterstützen.

Sollen nun bei den anstehenden Konzerten im Aarau und in Wohlen die Menschen aus Solidarität hingehen oder erwartet sie dort ein bereicherndes Kulturerlebnis?
Es wird ein echter Musikgenuss. Wir haben auch renommierte Solisten von Weltrang verpflichtet - beispielsweise die Sopranisten Mariam Tamari mit japanisch-palästinensischen Wurzeln oder Martin Snell für den Bass, der ursprünglich aus Neuseeland stammt und schon bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth und in der Mailänder Scala aufgetreten ist. Was ganz speziell ist: Die Kantaten werden von improvisierenden Teilen orientalischer Musik unterbrochen.

Bach und Weltmusik - geht das zusammen?
Ich bin überzeugt: Wenn Bach arabische Musik gekannt hätte, wäre er begeistert gewesen und hätte das Material auch in seine Kompositionen eingebaut.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Partnerschaft mit Beit-Jala
Schon 1998 begann die reformierte Kirchgemeinde Wohlen BE eine Partnerschaft mit dem nahe Bethlehem gelegenen Beit-Jala, das bis heute eine der Hochburgen der christlichen Palästinenser ist. Der Ort ist heute stark durch den Mauerbau beeinträchtigt.
Das völkerverbindende Projekt ist in Wohlen schon längst über die Grenzen der Kirchgemeinde hinausgewachsen. Der Singkreis Wohlen will sich nun verpflichten, das Edward-Said-Konservatorium finanziell zu unterstützen. Aktuell werden die Einnahmen, die abzüglich für die Flugspesen der Jugendlichen zusammenkommen, in Stipendien an die jungen Studenten des Konservatoriums in Betlehem weitergeleitet.

Konzerte
Mittwoch, 27. Januar: Stadtkirche Aarau, 19.30 Uhr
Freitag, 29. Januar und Samstag, 30. Januar: Kirche von Wohlen, 19.30 Uhr


Zum Bild: Temperamentvoll und engagiert für das völkerverbindende Musikprojekt: Dieter Wagner.
Foto: Delf Bucher

Interview: Delf Bucher/ reformiert. / 26. Januar 2016

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