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Trost, Traum und Täuschung

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01.01.2016
Sie spuken durch alte Gemäuer und fordern Wissenschaft und Kirchen heraus: Die Seelen von Verstorbenen. Alles nur Schabernack oder doch Realität?

Zuerst nahm sie es als Zigarrenrauch wahr. Abwechselnd in den verschiedenen Räumen des alten Hauses, obwohl niemand in der Familie rauchte. Dann traf sie ihn nachts im Flur, einen grossen Mann mit Hut, der Zigarre raucht, erzählt Eveline Hürlimann*. Als sie in ansprach und das Licht einschaltete, war er weg. Auch andere Mitbewohner sahen die Gestalt des Mannes später in einem Zimmer. Ruhig stand er da und schaute aus dem Fenster. Die Nachforschungen ergaben, dass in dem Pfarrhaus einst ein stattlicher Mann lebte, der Zigarren rauchte und einen Hut trug.
Etliche kennen solche Erfahrungen mit dem Jenseitigen. Manche Geschichten werden über Generationen weitergereicht. Wie die von der Grossmutter, die sah, wie sie zum Himmel auffuhr. Dort sagte ihr eine Stimme, ob von Engeln oder Christus selbst: «Anneli, du bist noch zu früh, komm morgen um 12 Uhr wieder», erzählt ein gestandener Mann. Und wirklich, am nächsten Tag sei die Grossmutter um 12 Uhr eingeschlafen und nie mehr aufgewacht.

Psychosomatische Reaktionen
Walter von Lucadou, Leiter der Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg, versucht mit naturwissenschaftlichen Methoden, dem Spuk auf die Spur zu kommen. Der Physiker und Psychologe ist Deutschlands bekanntester Geisterjäger.
Regelmässig wird er in Häuser gerufen, in denen Sonderbares geschieht. Einmal kontaktierte ihn die Besitzerin einer Gaststätte, in der «komische Sachen» passierten, erzählt er an einem Vortrag in der Kirchgemeinde Beggingen. Türen standen offen, die vorher abgeschlossen waren, Lichter und menschliche Gestalten tauchten auf. Die Gäste sahen, wie ein Tablett mit Gläsern durch den Raum geworfen wurde. Selbst ein Messer flog durch die Küche und blieb in der Wand stecken.
Die Vorfälle ereigneten sich, wenn der Ehemann ausser Haus war. Von Lucadou folgerte, der Spuk will den Ehemann nach Hause holen. «Als dies klar war, war die seltsame Atmosphäre im Haus weg», erzählt er. Egal, ob das nun ein Hausgeist gewesen war oder etwas anderes, feststehe, «die Wirtin war begabt darin», Probleme nach aussen abzuleiten. «Der Spuk ist eine psychosomatische Reaktion, die ausserhalb des Körpers stattfindet», ist von Lucadou überzeugt.

Der Tod ist ein endgültiger Bruch
Die reformierte Theologie tut sich mit Geistern schwer. An einer Tagung des Schweizerischen Kirchenbundes erklärte der Berner Systematiker Matthias Zeindler, Jenseitskontakte seien aus reformierter Sicht kein Thema. Der Tod sei eine von «Gott gesetzte Grenze», die das Ende jeglicher Beziehung bedeute. Für Zeindler sind die Jenseitsvorstellungen verniedlichend. «Der schreckliche Bruch, den der Tod darstellt, wird wegharmonisiert.» Die Bibel handle nicht vom Leben nach dem Tod, sondern vom ewigen Leben nach dem Gericht, wenn alle Beziehungen versöhnt sind, jeder Schmerz und die ganze Schöpfung geheilt seien. Zeindler forderte, man müsse die Jenseitsvorstellungen von Trauernden seelsorgerlich begleiten.
Die Reformierten können in ihrer ablehnenden Haltung auf die Bibel zurückgreifen. Selbst wenn es in der Heiligen Schrift von Engeln, Dämonen und Wundern wimmelt, so lehnt sie den Kontakt mit den Verstorbenen ab. Jene, die sich von den Toten Auskunft holen, seien dem Herrn zuwider, erklärt das Alte Testament ( 5 Mos 18,11). Und da gibts kein Pardon: Gott bestraft König Saul mit dem Tod, weil er in Endor die Seele des toten Samuel beschwören will.

Spiritismus in den Salons des 19. Jahrhunderts
In den meisten Religionen und Mythen spielt der Glaube an Geister und Dämonen eine Rolle. In Afrika und Südamerika ist der Kontakt zu Toten und anderen okkulten Mächten selbstverständlich.
Die westliche Welt hingegen zeigt sich unter dem Einfluss der Aufklärung gegenüber dem Übersinnlichen zurückhaltend. Mitte des 19. Jahrhunderts kommt der Spiritismus auf. Zuerst im angelsächsischen Raum, wo die industrielle Revolution auf jahrhundertealte Spukgeschichten über verwunschene Häuser und Schlösser trifft. Der moderne Spiritismus entsteht im US-Staat New York. Die Schwestern Margaret und Kate Fox hören 1848 in ihrem neu bezogenen Heim in Hydesville Klopfgeräusche. Als Quelle machen sie den Geist eines ermordeten und im Keller begrabenen Hausierers aus. Sie ordnen die Anzahl der Klopfzeichen den Buchstaben des Alphabets zu und nehmen zum Toten Kontakt auf.
Die Sensation verbreitet sich rasch. Die beiden Schwestern demonstrieren öffentlich ihre Geisterbeschwörungen. Andere Medien und Hellseher folgten. Und die Seelen der Verstorbenen werden mitteilsamer: Unsichtbar führen sie die Hand, rücken Gläser, verschieben Möbel, schreiben Botschaften oder sprechen durch ein Medium, das sich in Trance versetzt.
Die Spiritismus-Welle greift rasch auf Europa über. In den Metropolen sitzen die noblen Bürger zu Séancen zusammen und beschwören die Toten. Die noch junge Fotografie liefert die schlüssigen Beweise: Aufnahmen von verschwommenen Geistern, die sich wie Nebel über den Spiritisten erheben. Selbst Zeitgenossen wie Sir Arthur Conan Doyle, Autor der «Sherlock Holmes»-Romane, vertraut der Geisterfotografie. Er meint, sein im Ersten Weltkrieg gefallener Sohn sei als Geist auf die Erde zurückgekommen. Nur wenige erkennen, wie simpel der Betrug ist: Die Mehrbelichtung der Fotoplatte oder das Bettlaken, das durch den Raum flog. Schon steht der Hokuspokus.

Geister und Dämonen im Kino
Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwindet der Spuk. Das Wirtschaftswunder lässt dem Jenseitigen wenig Raum. In der Folge des New Age erleben in den 70er-Jahren aussergewöhnliche psychische Erscheinungen wie Telepathie, Psychokinese oder Hellsehen ein Comeback. Gebannt verfolgen Millionen Zuschauer am Fernseher, wie Uri Geller Gabeln und Löffel verbiegt. Ansonsten wird es um die Seelen der Verstorbenen still.
Umso mehr haben Geister und Dämonen die Leinwand erobert. Als Poltergeist, der Kinder in den Bildschirm zieht, oder als grünschleimige Monster, denen die Geisterjäger mit Laserkanonen auf den Leib rücken. Auch heute bringt das Spiel mit den Untoten Quote.
Öffentlich will Eveline Hürlimann über die Begegnung mit dem rauchenden Wesen nicht reden. Sie will kein Aufsehen erregen, niemanden vor den Kopf stossen. Vor ihrem Einzug stand das Haus lange leer und wurde dann renoviert. Hürlimann nimmt an, dass diese Veränderungen und der Einzug dazu geführt haben, dass sich der Geist zeigte. Inzwischen hat das Phänomen aufgehört. «Der Verstorbene hat verstanden, dass von mir keine Bedrohung ausgeht», sagt sie.
Hürlimann ist überzeugt, dass ungelöste traumatische Erlebnisse die Geister der Toten auf der Erde zurückhalten, sie an Räume und Häuser binden. Sie können nicht mehr leiblich werden, aber als Personenenergie erscheinen. «Der Geist gestaltet die materielle Welt», sagt Hürlimann. «Beim Sterben geht der Geist zurück in die göttliche Dimension.» Solche Vorstellungen dürften uns Christen, die vom Heiligen Geist sprechen, nicht fremd sein.


* Der Name ist der Redaktion bekannt.

Schneider, Müller, Zuber


Walter von Lucadou.

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