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Geschichte aus Asphalt

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23.06.2021
Immer öfter benennen Schweizer Städte Strassen nach Frauen. In Bern etwa trägt die vormalige Gardistrasse neu den Namen der Schulgründerin Bertha Trüssel. Kandidatinnen gibt es auch im kirchlichen Umfeld.

Das Schild ist noch nicht ausgetauscht, doch die Gardistrasse im Berner Wankdorfquartier, benannt nach dem Schweizer Reiseschriftsteller und Dokumentarfilmer René Gardi, ist nach wenigen Jahren bereits wieder Geschichte. Jetzt heisst das schnurgerade Strassenstück zwischen Büroneubauten Trüsselstrasse. Erinnert wird damit an Bertha Trüssel (1853-1937), die Frau, die das erste schweizerische Hauswirtschaftsseminar in Bern gegründet und geleitet hatte und als prägende Figur der gemeinnützigen Frauenarbeit gilt.

Eine derartige Umbenennung sei aufwändig, und es gebe sie nur sehr selten, sagt Christine Früh, Vorsitzende der Kommission für Strassenbenennung. «Historische Bezüge und die Vertrautheit der Bevölkerung mit bestehenden Strassennamen, aber auch der administrative Aufwand sprechen grundsätzlich gegen Umbenennungen. Sie finden deshalb äusserst selten statt.»

Der Fall René Gardi
2019 wurde bekannt, dass René Gardi in den 1940er Jahren wegen sexueller Übergriffe auf Schüler verurteilt wurde. Dieses Urteil nannte der Berner Gemeinderat denn auch als Begründung für die Namensänderung. Doch der Film «African Mirror» des Regisseurs Micha Hediger, der den Missbrauchsvorfall ans Licht rückte, offenbarte mehr als das: Er zeigte auch Gardis paternalistische, zum Teil rassistische Art, über Afrika zu berichten. Ist der Rassismus-Vorwurf also weniger gewichtig?

So lasse sich die Frage nicht stellen, sagt Christine Früh vom Tiefbauamt. «Der Umbenennungsentscheid des Gemeinderats erfolgte einzig auf Grund der verurteilten Straftat von Gardi. Die heute durchaus kritische Sicht auf Gardis Schaffen und das von ihm vermittelte Afrikabild hatte dabei keinen Einfluss.

Nomen est omen
«Strassennamen im öffentlichen Raum prägen das kollektive Gedächtnis», sagt die Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger von der Universität Bern. «Sie widerspiegeln das Bild, das wir von der Welt haben.» Und Frauen sollen nun, so hat es die Stadt Bern entschieden, dieses Bild vermehrt mitprägen und im öffentlichen Raum sichtbar sein: Namenlose Strassen werden solange nach innovativen Frauen benannt, bis es gleich viele Strassenschilder mit Frauen- wie mit Männernamen gibt.

Auch Kirchenfrauen im Fokus
Edith Siegenthaler, Historikerin und Geschäftsführerin der Evangelischen Frauen Schweiz (EFS) macht konkrete Vorschläge von Frauen aus dem kirchlichen Umfeld: Da wäre Hanni Lindt-Loosli, die erste Berner Synodalrätin, Dora Schlatter, die sich als Präsidentin der EFS für die erste Frauenökumenische Kirche einsetzte.  Alice Aeschbacher, die erste ausgebildete Theologin, die geistliche Dienste in einer Stadtberner Kirchgemeinde übernahm. Auch Hanni Marti als eine wichtige Pfarrfrau käme für sie in Frage, die Frau des Pfarrers und Dichters Kurt Marti.

Sehr viele Pionierinnen in offiziellen Ämtern seien es aber nicht, meint Siegenthaler, die auch Teil der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen ist. «Es ist noch nicht lange her, dass Frauen in kirchlichen Ämtern offiziell Spuren hinterlassen können.» Da das Pfarramt bis 1965 den Männern vorbehalten war und Namensgeberinnen verstorben sein müssen, sei die Liste nicht besonders lang. «Aber es gibt viele noch lebende Pionierinnen, die es verdient hätten mit einem Strassennamen geehrt zu werden.»

Katharina Kilchenmann, reformiert.info

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