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«Wir können von anderen Kirchen lernen, dass einem das eigene Zeugnis etwas wert sein muss»

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26.07.2022
Nach neun Jahren startet am 31. August wieder das wichtigste ökumenische Treffen der Welt: Die Vollversammlung des Weltkirchenrates in Karlsruhe. Heinz Fäh, Leiter der Delegation der Evangelischen Kirche Schweiz, über Blockaden in der Ökumene, faszinierende Begegnungen und die Versöhnung durch die Liebe Christi.

Lesen Sie hier den Blog von Pfarrer Tobias Arno zur ÖRK-Vollversammlung.

 

Die Vollversammlung des Weltkirchenrates (ÖRK) in Karlsruhe steht unter dem Motto: «Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.» Das sind schöne Worte. Wie werden daraus Taten?
Das ist eine typische reformierte Frage von heute. Wenn wir sofort nach Taten fragen, kommen wir gleich auf Massnahmen zu sprechen. Auf dieser Ebene sind Interessen im Spiel, welche die Ökumene total blockieren können. Daher meine ich: Lassen wir erst einmal die Massnahmen weg und lassen wir uns ein auf diese Worte. Was bedeutet uns die Liebe Christi? Wir Reformierten sind eine Kirche des Wortes. Wir sollten dem Wort Bedeutung einräumen, uns von ihm verändern lassen, und erst in einem zweiten Schritt auf die Massnahmenebene kommen.

Lassen wir uns also auf das Wort ein. Was bedeutet das Motto der Vollversammlung fĂĽr die Ă–kumene heute?
In der Ökumene haben wir jahrzehntelang um die Konvergenz von Lehrmeinungen gerungen, das heisst: Wer hat Recht, und können wir auch zusammen Recht haben? In Manchen Bereichen war das erfolgreich, in vielem hat es aber in eine Blockade geführt.

 

«Die Gebetszeiten sind von Christen aus aller Welt gestaltet und enorm bereichernd.»
Heinz Fäh, Leiter der EKS-Delegation an der ÖRK-Vollversammlung

 

Wie kommen wir da wieder raus? Ich meine: Wir sollten uns an der Liebe Christi orientieren und uns fragen, wie wir einander begegnen: Als solche, die Recht haben wollen? Oder als Schwestern und BrĂĽder, die einander in die Augen blicken und als Mitchristinnen und Mitchristen wahrnehmen? Wir brauchen eine Ă–kumene der Herzen. Das ist mit dem Motto gemeint.

Wer legt das Motto fest?
Das Zentralkomitee des Ă–RK. Auch die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) ist dort mit einem Sitz vertreten.

Sie waren schon an mehreren Ă–RK-Vollversammlungen. Worauf freuen Sie sich besonders?
Auf die Begegnungen mit Menschen ganz unterschiedlicher Kirchen. Darauf, miteinander ins Gespräch zu kommen und miteinander zu feiern. Die Gebetszeiten – man darf ihnen nicht mehr Gottesdienste sagen – sind von Christen aus aller Welt gestaltet. Sie sind sehr divers. Das ist enorm bereichernd.

Weshalb heissen sie nicht mehr Gottesdienste?
Das ist ein Rückschritt in der Ökumene. In Auffassung vieler Mitgliedskirchen würde ein gemeinsamer Gottesdienst eine stärkere Kircheneinheit voraussetzen. Das wollen nicht alle.

Wer will das nicht?
Viele Orthodoxe Kirchen zum Beispiel. Sobald man in der Ökumene fragt: «Sind wir in euren Augen auch Kirche?», wird es schnell schwierig und verletzend. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, wo wir uns einig sind und was wir mit einander tun können. Gemeinsame Gebete sind ein Beispiel dafür. Aus meiner Sicht haben diese aber durchaus gottesdienstliche Qualität, mit wunderbaren Liturgien.

Neben Gebetszeiten gibt es auch thematische Panels und am Ende eine Abschlusserklärung. Welche Ziele verfolgt die EKS-Delegation?
Wir haben Themen festgelegt, die uns wichtig sind, über die wir sprechen möchten.

Das wären?
Fragen zur Sexualethik, zum Beispiel zur sexuellen Ausrichtung. Manche Kirchen wollen gar nicht darüber sprechen, weil für sie sowieso alles klar ist. Wir aber sind der Meinung, dass das diskutiert werden muss. Weitere Themen sind die Stellung der Frauen in der Kirche, die Klimaerwärmung oder eine gerechte Ökonomie, die dem Leben dient. Und dann geht es auch darum, miteinander im Gespräch zu bleiben darüber, was es heisst, gemeinsam Kirche zu sein.

Wer legt die Positionen der EKS-Delegation fest?
Die Delegation hat sich auf Karlsruhe vorbereitet, Themen diskutiert und Positionen entwickelt. Diese gingen in einem Feedback-Prozess an den EKS-Rat. Der Rat hat uns dann mandatiert.

Was können die Schweizer Reformierten von anderen Kirchen lernen?
Viele Christen in der Welt sind schon seit jeher in der Minderheit. Häufig nehmen sie grosse Nachteile oder gar Verfolgung in Kauf. Auch in der Schweiz sind wir je länger je mehr in einer Minderheitsposition. Da können wir von anderen Kirchen lernen, dass einem das eigene Zeugnis etwas wert sein muss.

 

«Auch wollen wir klar Kante zeigen: Dass die Rechtfertigung des Krieges durch eine Kirche, wie dies der Moskauer Patriarch Kyrill getan hat, Sünde ist.»
Heinz Fäh, Leiter der EKS-Delegation an der ÖRK-Vollversammlung

 

Wir reagieren als Reformierte ganz schnell mit Adaption – wir passen uns der Gesellschaft an, um noch dabei sein zu können. Darüber sind andere Kirchen längst hinweg. Sie bewegen sich als Kontrastgemeinschaft in der Gesellschaft, um ihre Identität bewahren zu können.

Und was können andere Kirchen von den Schweizer Reformierten lernen?
Die Frauenordination zum Beispiel. Dass Frauen Pfarrerinnen werden können, ist für uns selbstverständlich. Für viele andere Kirchen überhaupt nicht. Wir können ihnen erzählen, wie das unsere Kirche bereichert hat. Ein weiteres Beispiel: Unsere Kirche lebt von der Basis und ist demokratisch organisiert. Auch Laien können ein kirchliches Leitungsamt ausüben. Das allgemeine Priestertum hat bei uns einen hohen Stellenwert. Darauf können wir stolz sein.

Kommen wir also zur Basis: Was hat die ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe mit einem einfachen Kirchenmitglied zu tun, zum Beispiel mit einer Bäuerin aus dem Toggenburg?
Wenn man zu Hause am Tisch sitzt, ein MenĂĽ vor sich, ist man sich meist nicht bewusst, woher das Essen stammt. Das kommt aus der halben Welt. Und selbst wenn es im eigenen Garten angebaut wurde, kommen Geschirr und Besteck aus dem Ausland. Unsere Gesellschaft ist globalisiert, auch das christliche Leben. Viele KirchbĂĽrgerinnen kreisen aber noch stark um den eigenen Kirchturm. Die Ă–RK-Vollversammlung ist eine gute Gelegenheit, den Blick ganz weit aufzutun.

Auch gewöhnliche Kirchenmitglieder können nach Karlsruhe reisen. Was erwartet sie dort?
Es gibt ein Rahmenprogramm, das allen Interessierten offensteht, mit vielen Veranstaltungen und einem Riesenmarktplatz, unglaublich vielfältig und divers. Neben Kirchen sind dort auch NGOs, Missionswerke oder LGBTIQ-Gemeinschaften vertreten. Auch die EKS ist mit ihrem «Swiss Hub» vor Ort. Also eine einmalige Gelegenheit, um wertvolle Kontakte zu knüpfen.

Der Krieg in der Ukraine wirft einen Schatten auf die Vollversammlung des Ă–RK, in dem auch Orthodoxe Kirchen Russlands und der Ukraine vertreten sind.
Tatsächlich, das beschäftigt uns alle. Ich erwarte, dass es Veranstaltungen geben wird, die dem gewidmet sind. Delegierte der EKS werden an diesen Veranstaltungen teilnehmen und ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk und den ukrainischen Christen zum Ausdruck bringe. Auch wollen wir klar Kante zeigen: Dass die Rechtfertigung des Krieges durch eine Kirche, wie dies der Moskauer Patriarch Kyrill getan hat, Sünde ist. Das sind wichtige Zeichen.

Gibt es einen Punkt, wo der Dialog an Grenzen stösst?
Für einen Dialog braucht es immer zwei. Wenn der Dialogpartner aussteigt, ist Schluss. Das könnte mit der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) durchaus passieren. Der russische UNO-Botschafter ist im Sicherheitsrat auch einfach aufgestanden und davongelaufen. Der Dialog muss auf Augenhöhe stattfinden, sonst wird er zum Diktat. Deshalb ist das Motto der Vollversammlung – «Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt» – auch eine Verpflichtung. Dem muss sich auch die ROK stellen. Allerdings: Es fanden und finden in der ROK wohl grosse interne Richtungskämpfe statt. Das zeigt sich daran, dass die ROK mehrere Delegierte ausgewechselt hat – und zwar mehrmals.

Interview: Stefan Degen | Foto: Andreas Ackermann – Kirchenbote SG, September 2022

 

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