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«Dieses Drama spielt sich vor unserer Haustür ab»

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24.02.2017
Der Tod von fünf Flüchtlingen in griechischen Lagern Anfang Februar hat kaum Aufsehen erregt. Iain Campbell aber lässt das Schicksal der Flüchtenden in Griechenland nicht mehr los. Zum vierten Mal reiste er Mitte Februar hin, um zu helfen.

Herr Campbell, Mitte Februar reisten Sie zum vierten Mal nach Griechenland, um sich dort für die Flüchtlinge zu engagieren. Was hat Sie und Ihre Frau im Winter 2015 zu Ihrem ersten Freiwilligeneinsatz bewegt?
Wir haben von den Flüchtlingsströmen gelesen, die Bilder und Berichte gesehen. Wir realisierten, dass sich dieses Drama vor unserer Haustür abspielt. Nachdem der Kontakt mit einer Freiwilligenorganisation nicht zustande kam, haben wir uns entschieden, selbst nach Griechenland zu fahren.

Sie haben Geld gesammelt, sich ein Flugticket gekauft und sind nach Griechenland gereist?
Wir haben ein Rundschreiben an Freunde und Bekannte verschickt und für unseren ersten Einsatz 7'000 Franken gesammelt. Für die zweite Reise von März bis August 2016 kamen über 15’000 Franken zusammen. Dieses Geld kommt vollumgänglich den Flüchtenden zugute. Unsere Flugtickets, Kosten für Unterkunft und Transport bezahlen wir aus der eigenen Tasche. Nicht nur finanzielle Spenden sind eingegangen: Die Kirchgemeinde Rapperswil im Kanton Bern hat uns bei der Kleidersammlung tatkräftig unterstützt. Dank der Organisation von der Pfarrerin Lilian Fankhauser sammelten die Leute Kleider, die ein grosses Auto samt Anhänger füllten. Nachbarinnen haben Fingerpuppen für Flüchtlingskinder genäht.

Was hat Sie vor Ihrem ersten Einsatz am meisten Überwindung gekostet?
Das Flugticket zu kaufen. Hat man sich einmal dazu überwunden und kommt vor Ort an, dann geht alles fast von alleine. Es gibt überall Möglichkeiten, wie man sich vor Ort engagieren kann, aber ich bin mir auch bewusst, dass nicht alle die Gelegenheit für einen Freiwilligeneinsatz haben; man hat Familie, man hat einen Beruf. Viele Menschen engagieren sich hier in der Schweiz für die Mitmenschen, und auch das ist sehr wichtig.

Was sind die Herausforderungen für die Freiwilligen vor Ort?
Viele Freiwillige können einen Einsatz von ein paar Wochen leisten, weil sie wieder zurück an ihren Arbeitsplatz müssen. Wenn sie gute Projekte starten, ist es dann manchmal etwas schwierig, diese weiterzuführen. Zudem bräuchte es mehr medizinisches Personal, Freiwillige, die Arabisch und Dari sprechen, Handwerker aller Art und Ernährungsberater, die junge Mütter bei Stillproblemen unterstützen können. Sprach- und gelegentlich kulturelle Unterschiede können zu Problemen führen, aber diese zu überwinden ist wirklich eine Erfahrungsbereicherung.

Was bewegt Sie, dass Sie nun erneut nach Griechenland reisen?
Wenn man einmal gesehen hat, was sich in Griechenland abspielt, lässt einen das nicht mehr los. Griechenland ist mit der Situation überfordert und erhält zu wenig Unterstützung von den anderen europäischen Ländern. Ich finde, Europa hat versagt und die Bevölkerung ignoriert, was vor ihrer Haustür geschieht. Die freiwilligen Helfer verrichten wichtige Arbeit dort. Entscheidend ist: Was immer die Freiwilligen vollbringen, die Unterstützung der Spender ist unerlässlich.

Wie hat sich die Situation vor Ort während Ihren verschiedenen Einsätzen verändert?
Die Freiwilligenarbeit ist heute besser organisiert als noch vor einem Jahr. Die Kleiderspenden haben sich auch verändert. Zu Beginn haben wir oft Kleider erhalten, die man eigentlich hätte wegschmeissen müssen. Heute sind die gebrauchten Kleider in gutem Zustand, und oft erhalten wir sogar neue Kleider gespendet. Zudem haben die vor Ort arbeitenden Volontäre die Verteilzentren weitgehend im Griff.

Sehen Sie eine Lösung der Flüchtlingskrise in naher Zukunft?
Es gibt keine einfache Lösung. Flüchtende schmoren ein Jahr oder noch länger in den Flüchtlingscamps in Griechenland. Die Abstände zwischen den Abklärungsgesprächen sind lang, weil die Beamten den Andrang nicht zeitgerecht bewältigen können. Es wurde zwar mehr Personal versprochen, aber bis heute nicht oder ungenügend umgesetzt. Es ist äussert wichtig, dass die Berechtigung jedes Ankommenden sorgfältig abgeklärt wird. Aber die Anwesenheit von nichtberechtigten und aussichtslosen Migranten verschlingt viele Ressourcen und schadet dadurch den Schutzbedürftigen und denen, die verfolgt werden und ein Anrecht auf Asyl haben. Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Vor Ort sehen wir nur Männer, Frauen, Kinder und Kleinkinder in Not, denen man helfen soll – und im kalten Winter erst recht.

Nicola Mohler / reformiert. / 24. Februar 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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