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Bruder Klaus – der Mystiker: Hörte er die Stimme Gottes?

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28.03.2017
Christoph Hürlimann, Theologe und Pfarrer und Autor von «Aus der Einheit leben – Begegnung mit Bruder Klaus»

Herr Hürlimann, der Psychiater C. G. Jung bezeichnete Niklaus von Flüe als den grössten Mystiker der Schweiz – zu Recht?

Mystiker lassen sich schwer im Sinne der Grösse bewerten. Es kommt dazu, dass sich Niklaus nicht leicht einer Schule zuordnen lässt, was ihn vergleichbar machen würde. Er war aber ohne Zweifel transparent für aus-sergewöhnliche Botschaften aus der Tiefe. Die Visionen stammen aber wie aus einem tieferen Grund. Jung würde vom Unbewussten sprechen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Wo es sich um Erfahrungen handelt, die aus anderen Bereichen stammen, würde die Tiefenpsychologie als Quelle das kollektive Unbewusste nennen. Das wird darin deutlich, dass uns hier auch Bilder begegnen, die den Rahmen der biblisch-christlichen Religion sprengen. Es handelt sich wohl um einen tieferen Strom, der die Menschen verbindet.

War dieser Strom die Stimme Gottes?

In seinem Gedicht «Gott» nennt der Schriftsteller Gottfried Keller Gott ein grosses stilles Haus. Nur wer hineingeht, erfährt etwas über dieses Haus. Niklaus von Flüe war einer, der hineinging, vielleicht eher hineingeführt wurde. Ob wir in diesen Visionen Gottes Stimme begegnen, ist eine Frage des Glaubens. Bei diesen «dichten» Bildern würde C. G. Jung von Archetypen sprechen. Tiefenpsychologisch stellt sich die Frage, ob es eine kollektive Stimme des Unbewussten gibt. Niklaus «hörte» in diesen Bildern Gottes Stimme. Der Heilige Geist hatte ihn in das «grosse stille Haus» geführt.

Welches ist für Sie die eindrücklichste Vision?

Jedenfalls die, die einen tiefen Blick in sein Leben gewährt: Niklaus sitzt am Rande einer Wiese, auf der seine Tiere vorbeiziehen. Er verweilt in tiefer Andacht. Während seines Gebets wächst eine Lilie aus seinem Mund zum Himmel. Die Lilie ist ein Symbol der Dreieinigkeit, der Gegenwart des lebendigen Gottes. Nun kommen seine Tiere vorbei. Sein Blick, der auf der Lilie ruhte, fällt auf ein besonders schönes Pferd. Da neigt sich die Lilie und das Pferd verschlingt sie. Diese Vision ist für mich wie ein Spiegel: Was ist bei mir stärker – die Hingabe an Gott oder meine täglichen Geschäfte?

Ein unüberbrückbarer Konflikt?

Ja. Die Vision von der Lilie und vom Pferd zeigt eine innere Spannung. Kierkegaard spricht vom «Sprung» des Glaubens: Hier wäre es der Sprung von der Bindung an die Welt zur Freiheit, die mir in Gottes Armen geschenkt wird. 

Interview: Tilmann Zuber, Kirchenbote, 28.3.2017

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