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Liebesdienst für die letzte Reise

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30.10.2017
Beim Abschied von Verstorbenen begleiten Fährfrauen den letzten Übergang und halten Totenwache. Mit diesem Ritual knüpfen sie an alte Kulturen an.

«Vom grossen Amen» – so spricht Martina Kühl-Schläpfer vom letzten Liebesdienst für einen verstorbenen Menschen. «Es ist ein besonderer Augenblick, wenn sich die Seele vom Körper verabschiedet. Das Sterben ist ein berührender Moment im Leben, er ist mit einem Geheimnis verbunden», sagt sie.

Singen am Totenbett
Als Fährfrau begleitet Martina Kühl-Schläpfer Menschen beim Abschied von Verstorbenen. Sie verrichtet die Totensorge und gestaltet Abschiedsfeiern. Wenn es passt, singt sie am Totenbett. «Auch hier in der Schweiz sind Rituale willkommen, die dem Sterben und Abschiednehmen eine Form geben, dazu sind schon kleine Gesten wertvoll.»

Die Fährfrauen nehmen sich für jeden Schritt viel Zeit. «Wir bringen als Erstes Entschleunigung in die Situation. Wir alle brauchen Zeit, um zu realisieren, wenn jemand gestorben ist. Es ist wichtig, das sinnlich zu begreifen.» Martina Kühl-Schläpfer lädt die Angehörigen ein, bei der Totensorge mitzuhelfen. «Eine verstorbene Person zu waschen, einzucremen, anzukleiden oder ihr die Haare zu kämmen, mit ihr zu sprechen oder sie auch nur zu berühren, hilft zu begreifen, was passiert ist.»

Seit jeher Frauensache
In der heutigen Gesellschaft kommen längere Aufbahrungen nicht oft vor. Die Toten werden in der Regel schnell weggebracht. Martina Kühl-Schläpfer bedauert das. «Es ist eindrücklich zu beobachten, wie sich ein Mensch von dieser Erde loslöst. Das geschieht bei jedem in einem anderen Tempo, kann Stunden oder Tage dauern. Denen, die dableiben, hilft es, wenn sie erleben können, wie sich der Verstorbene immer weiter entfernt.»

Die Fährfrauen knüpfen mit ihrem Wirken an alte Kulturen an, in denen die Totensorge Frauensache war. «Das hat mit dem Gebären zu tun», sagt Martina Kühl-Schläpfer. «Es sind seit jeher Frauen, die das Leben begrüssen und verabschieden. Doch mit der Zeit wurde das Bestattungswesen zu einer Männerdomäne. Wir Fährfrauen möchten diese Aufgabe in Frauenhände zurückführen.» Deshalb auch das Bild der Fähre auf dem Lebensfluss. «Wir Fährfrauen fahren mit der Familie auf der Fähre ans andere Ufer und entlassen die Verstorbenen ins Land der Seelen. Die Dableibenden bleiben auf der Fähre, mit ihnen kehren wir zurück und bieten ihnen Unterstützung an.»

Zyklisches Lebensverständnis
Ein weiterer Schritt liegt in der Gestaltung der Abschiedsfeier. Die Fährfrauen sind in einem zyklischen Lebensverständnis verwurzelt und konfessionsfrei. «Wir nehmen aber auf, was an spirituellen Bildern an uns herangetragen wird und lassen diese in unserer Arbeit einfliessen», so Kühl-Schläpfer.

Für Martina Kühl-Schläpfer gehört der Tod täglich zum Leben. Verändert der Umgang mit dem Tod die Sicht auf das Leben? Wird es intensiver? «Intensiver nicht, aber das Leben wird durch die Auseinandersetzung mit dem Tod vollständiger», sagt sie.

Adriana Schneider, kirchenbote-online, 30. Oktober 2017

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