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«Glokalisierung»: Global denken, lokal handeln

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22.02.2018
Die Ökumenische Kampagne 2018 steht unter dem Motto «Werde Teil des Wandels». Der Theologe Josef Estermann erklärt im Interview, wieso ein gesellschaftlicher Wandel dringend nötig ist, um aus der systemischen Krise zu finden.

Steckt unsere Welt in einer wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Krise?
Definitiv. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir merken, dass unser ökonomisches, politisches und kulturelles System eine kritische Grenze erreicht hat. Dieser Zustand wird zusätzlich verstärkt, weil Krisen heute global und miteinander vernetzt sind. Die eine hängt mit der anderen zusammen. Zudem werden die Zyklen der Krisen immer kürzer.

Aber man könnte doch meinen, es ginge uns in der Schweiz gut.
Ja, aber dieses Gefühl der Harmonie und Wohlbefindens in der Schweiz ist nur möglich, weil es an anderen Orten dieser Welt sehr unharmonisch und unmenschlich zu- und hergeht.

Der Klimawandel macht sich auch hierzulande bemerkbar.
Wir erleben vermehrt Bergstürze, Fluten und extreme Sommer. In anderen Weltregionen sind die Auswirkungen des Klimawandels aber noch viel krasser.

Wie sieht es in der Finanzwirtschaft aus?
Die Finanzwirtschaft koppelt sich immer stärker von der Realwirtschaft ab. Wir sitzen auf einem Spekulationskapital mit einer riesigen Blase. Es ist gut möglich, dass diese Blase bald wieder platzt.

Was sollten die Politiker tun?
Politiker und Politikerinnen sollten wieder mehr die Zügel in die Hand nehmen und Rahmenbedingungen für eine soziale Marktwirtschaft mit einem menschlichen Antlitz schaffen. Politik soll nicht nur Steigbügelhalter der Wirtschaft sein und Schadenbegrenzung betreiben. Sie muss eine Vorreiterrolle übernehmen.

Welche gesellschaftlichen Veränderungen beobachten Sie?
Im Westen erkranken immer mehr Menschen an einem Burnout. Dies ist ein Symptom dafür, dass viele den Belastungen nicht mehr gewachsen sind und an ihre Grenzen stossen. Auch im Süden sind bereits ähnliche Phänomene zu beobachten: In Indien beispielsweise ist die Suizidrate unter der Landbevölkerung im den letzten zehn Jahren stark angestiegen – unter anderem, weil sie wegen des Landraubs durch grosse Konzerne ihr Ackerland verloren haben oder nicht mehr von den Erträgen ihrer Böden leben können.

Was muss sich ändern, damit wir aus diesen Krisen finden?
Ein gesellschaftlicher Wandel nicht nur bei uns, sondern weltweit ist vonnöten. Es geht um einen Strukturwandel – das klingt kompliziert und radikal, aber wenn wir alle bei uns selber beginnen, kann sich etwas verändern. Das geschieht natürlich nicht von heute auf morgen und geht einher mit einer Haltungs- und Bewusstseinsänderung.

Wie kann dieser Wandel herbeigeführt werden?
Wir leben in einer Welt, in der der persönliche und globale Aspekt nicht voneinander zu trennen sind. Dafür gibt es den Ausdruck «Glokalisierung»: Global denken, lokal handeln. Wir müssen realisieren, dass globale Probleme mit mir persönlich zu tun haben: Wie ich mit Geld umgehe, was und wie ich konsumiere, wie ich wohne, wie ich mich politisch verhalte. Dieser Spagat zwischen global und lokal muss uns gelingen.

Darauf zielt die Ökumenische Kampagne heuer mit dem Motto «Werde Teil des Wandels».
Die Kampagne will aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt, wie wir eine Veränderung herbeiführen können. Dazu vermittelt sie die Geschichten von Menschen, die sich bereits heute für eine gerechtere und intakte Welt engagieren. Solche Hoffnungsgeschichten inspirieren andere Menschen, ihnen gleich zu tun. Ich glaube, dass Kirchen und Hilfswerke dabei eine wichtige Rolle spielen.

Nicola Mohler, reformiert.info, 22. Februar 2018

Food Waste, Fairtrade, Zero Waste. Auch in der Schweiz gibt es immer wieder neue Bewegungen, die sich um das Wohlergehen der zukünftigen Generationen kümmern.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele lokale Initiativen es gibt: Nachbarschaftshilfe, Urban Gardening, Repair-Cafés. Oder auch Initiativen, die sich für die Ökologie einsetzen. Das Problem ist, dass darüber in den Massenmedien noch zu selten berichtet wird. Wenn es solche Themen und Initiativen in die Medien schaffen, steigen die Chancen, dass mehr Leute aufspringen. Dasselbe gilt für alternative Bewegungen.

Apropos alternative Bewegung. Sie arbeiteten 17 Jahre in den Anden. Was können wir von der «andinen Philosophie» lernen?
Die «andine Philosophie» handelt von Harmonie, vom Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier, Pflanzen, der unbelebten und der geistigen Welt. Das führt zu einer respektvollen Haltung gegenüber der Umwelt und schafft das Bewusstsein für die Endlichkeit. Unbegrenzter Wachstum ist auf einem begrenzten Planeten nicht möglich; die «andine Philosophie» strebt nach dem Einklang mit der Natur. Die westliche Philosophie hingegen hat der Natur den Kampf angesagt: Im Zentrum steht eine individualisierte Auffassung vom Menschen und eine Ethik des Egoismus. Ich glaube nicht, dass wir die «andine Philosophie» einfach so übernehmen sollten. Aber sie kann uns dabei helfen, unsere eigene Kultur und Zivilisation zu hinterfragen: Was ist genug für ein gutes Leben? Muss es immer mehr und immer schneller sein?

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