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Raclette gibt es nicht

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25.05.2018
Bei «gastschafftfreund» laden Schweizer Flüchtlinge zum Nachtessen zu sich nach Hause ein. Sandrine Mayoraz und Tobias Willa haben es gewagt.

An der Wand reihen sich Hunderte von leeren Bierdosen aus der ganzen Welt zu einem eindrücklichen Kunstwerk. «Schreiben Sie ja nicht, wir hätten die alle mit den Flüchtlingen getrunken», witzelt Tobias Willa, als er mich ins Wohnzimmer führt. Er und seine Partnerin Sandrine Mayoraz stammen aus Sion. Beide hat die Ausbildung aus dem Wallis nach Basel geführt. 
Ein Radiobeitrag über Einheimische, die Flüchtlinge zum Znacht einladen, weckte Sandrine Mayoraz’ Interesse. «Das wäre etwas für uns», dachte sie. Es war jener Sommer, als Tausende Flüchtlinge über die Balkanroute nach Europa strömten. Sandrine Mayoraz fragte sich angesichts der Bilder, wie es wohl wäre, wenn sie und Tobias fliehen und alles hinter sich lassen müssten, Heimat, Besitz und Familie.  

Wenig Kontakt zur Bevölkerung
Die Initiantin von «gastschafftfreund» Marta Casulleras hat in ihrer Arbeit als Deutschlehrerin für Migranten festgestellt, dass den Flüchtlingen oft der Kontakt mit der Bevölkerung fehlt. Mit der Gründung von «gastschafftfreund» brachte sie das ursprünglich in Stockholm lancierte Projekt nach Basel und vermittelt nun Essen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen. Die Initiative gibt es mittlerweile in vielen Städten. Die Idee ist simpel: Hiesige laden anerkannte Flüchtlinge zum Nachtessen zu sich nach Hause ein. Der Verein vermittelt die Gäste. Wenn beide Seiten die Beziehung fortsetzen möchten, folgen weitere Einladungen. In Basel ist die Liste der Flüchtlinge, die auf eine Einladung warten, lang. Deshalb sucht «gastschafftfreund» Paare, Familien und Wohngemeinschaften, die sich auf diese Aktion einlassen.

Bedenken rasch zerstreut
Sandrine Mayoraz und Tobias Willa haben es inzwischen dreimal getan. Sie fanden es spannend und lehrreich. «Wir haben ja sonst keinen Kontakt zu Flüchtlingen.» Natürlich sei man vor dem ersten Abend nervös, lacht Sandrine Mayoraz, und habe Tausende Fragen. Was soll man kochen? Werden wir uns verstehen? Was darf ich ansprechen? «Die Bedenken zerstreuen sich rasch, wenn man zusammen am Tisch sitzt», sagt Tobias Willa.Zum ersten Abend kam ein Eritreer, der gebrochen deutsch sprach und seit acht Jahren in der Schweiz lebte. Er war zurückhaltend, taute dann auf und führte die beiden in die Kunst des Kaffeetrinkens ein. «In Eritrea ist der Genuss des Kaffees ein Ritual, angefangen beim Mahlen der Bohnen bis hin zum Trinken», sagt Mayoraz. Später lud das Paar einen Iraker aus Kirkuk ein, der erst seit wenigen Monaten in der Schweiz war. Trotzdem sprach er gut deutsch. Dann kamen zwei Schwestern aus Syrien. «Die jüngere war ein Philosophie-Freak», erzählt Tobias Willa. «Sie wollte wissen, welche Philosophen wir lesen und welche Musik wir hören.»  Mit den beiden wollen Mayoraz und Willa im Kontakt bleiben.Die Gespräche machten ihnen bewusst, wie schwierig es für Flüchtlinge ist, mit Schweizern in Kontakt zu kommen. Meist würden sie mit anderen Asylbewerbern zusammen wohnen. «Und auch in den Sprachkursen bleiben sie unter sich.» Umso wichtiger seien solche Treffen, sagt Sandrine Mayoraz. Nach solchen Abenden denke man auch über das eigene Leben nach. «Man erkennt, dass man trotz Problemen ein schönes Leben hat und es mehr geniessen sollte.»Und was tischten Willa und Mayoraz ihren Gästen auf? «Nichts Besonderes, Lasagne, geschnetzeltes Poulet, Spaghetti und Apfelkuchen.» Kein Raclette aus dem Wallis? «Definitiv nicht», lacht Tobias Willa, «wir wollten unsere Gäste nicht überfordern.»

www.gastschafftfreund.ch

Tilmann Zuber, 24. Mai 2018

 

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