Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Volkswahl der Pfarrer scheidet die Geister

min
27.09.2018
Am 9. Dezember befinden die Kirchenmitglieder des Kantons Luzern an der Urne über das neue Personalgesetz. Christian Hochuli vom Komitee Pro Volkswahl und Thomas Flückiger von der Gruppe Pro Personalgesetz kreuzen im Streitgespräch die Klingen.

Aktuell geht es hoch zu und her in der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Luzern. Die Synode sprach sich Ende Mai für ein neues Personalgesetz aus. Neu würden Pfarrpersonen der Luzerner Kirchgemeinden nicht mehr von der Kirchgemeindeversammlung gewählt, sondern vom Kirchenvorstand angestellt – oder auch entlassen. Doch das neue Gesetz sorgte bei vielen Exponenten für Empörung. Ein fünfköpfiges Komitee stellte sich auf die Hinterbeine und ergriff das fakultative Gesetzesreferendum. Mit Erfolg. Nun kommt es zur Abstimmung im Dezember. Bis dahin werden die zerstrittenen Lager alle Register ziehen, um die geneigte Wählerschaft argumentativ auf ihre Seite zu ziehen.
In keinem anderen Kanton sieht das Gesetz ein Verbot der Volkswahl für Pfarrpersonen vor. Das neue Personalgesetz der Reformierten Kirche Kanton Luzern wurde Ende Mai von der Parlamentsmehrheit verabschiedet. Sind die Luzerner Synodalräte solche Visionäre – oder suchen sie einfach nur Streit?
Christian Hochuli: Meiner Meinung nach ging es immer nur um Macht. Das begann bereits während des Verfassungsrevisionsprozesses. Schon damals wurde enorm gestritten. Wenn während der ersten Lesung des neuen Personalgesetzes kritische Voten aufkamen, ergriff die Juristin der Exekutive sofort das Wort im Parlament, wie im Protokoll zur Synode vom 14. März 2018 nachzulesen ist.

Herr Flückiger, ging es bei der Durchsetzung des neuen Personalgesetzes tatsächlich lediglich um Machtansprüche, wie Herr Hochuli behauptet?
Thomas Flückiger: Wenn, dann geht es um Machtansprüche beim Referendumskomitee. Denn unsere Absicht war immer, dass der gesamte Vorstand, zudem der Pfarrer ja von Amtes wegen auch gehört, gemeinsam für die Kirchengemeinde verantwortlich ist. Tatsache ist: Das bisherige Gesetz gab dem Pfarrer die volle Macht. Der Vorstand war zwar verantwortlich für das Anstellungsverhältnis, hatte aber keine Handhabung, einem Pfarrer mitzuteilen, wenn dem Gremium etwas missfällt. Das ist nun anders.
Hochuli: Sie und mehrere Synodale waren aber von Anfang an bekennende Gegner der Volkswahl.
Flückiger: Ich habe in der ersten Lesung gesagt, ich hätte viele Sympathien für die Pfarrwahl. Ich sagte aber auch, ich sei der Meinung, dass die Verantwortung für ein Anstellungsverhältnis eines Pfarrers einer klaren Instanz zugeordnet werden muss.

Die hohe Zahl der Unterschriften zeigt, dass Sie mit Ihrem Referendum einem Bedürfnis der Luzerner Reformierten zu entsprechen scheinen. Warum haben Sie mobilgemacht, Herr Hochuli?
Hochuli: Je mehr ich mich mit der aktuellen Sache auseinandersetze, umso mehr komme ich zum Schluss: Es geht bei der Abstimmung um eine entscheidende Weichenstellung, in welche Richtung sich unsere Kirche entwickeln soll. Es geht um die Existenz und den Fortbestand der Volkskirche. Das Totalverbot der Pfarrwahl, das zur Diskussion steht, läuft in die Richtung «Lichter löschen». Die Wahl des Pfarrers durch das Volk ist eines der wesentlichsten Rechtsgeschäfte einer Kirchgemeindeversammlung. Um ein Machtgefälle zu verhindern, müssen alle vom gleichen Organ gewählt werden. Wer nur vom Vorstand gewählt wird, ist diesem danach hörig.
Flückiger: Also ich führe seit 20 Jahren Menschen und diese sind mir überhaupt nicht hörig, obwohl ich sie eingestellt habe. Ich finde es fortschrittlich, dass man endlich eine gemeinsame Kirchenleitung hinbekommt – und nicht der Pfarrer immer einen Sonderzug wählen kann. Hochuli: Und genau da haben wir es: Jetzt können Sie endlich den Meister zeigen. Es geht eben doch um Macht. Denn was hat denn ein Pfarrer schon für Sonderzüge?
Flückiger: Wir wollen doch nur, dass endlich alle in ihrer Kirche ähnliche Strukturen bei den Anstellungsverhältnissen haben.

Aber um das zu erreichen, Herr Flückiger, wirft Ihnen die Gegenseite vor, der Synodalrat habe vor drei Jahren, als es um die Verfassungsrevision ging, falsch gespielt.
Hochuli: Ja, genau das sagen wir. Und dazu soll mir Herr Flückiger bitte eine Frage beantworten: Hat der Synodalrat die Stimmbürgerschaft bei der Volksabstimmung über die neue Kirchenverfassung am 2. Advent 2015 angelogen?
Flückiger: Dazu, was der Synodalrat damals gesagt hat, oder nicht, kann ich nichts sagen.
Hochuli: Ich kann Ihnen vorlesen, was der Synodalrat damals in der Abstimmungsbroschüre allen Stimmberechtigten zusicherte: «Die Volkswahl soll auch in Zukunft möglich sein.» Diese Broschüre ist im Internet nicht mehr auffindbar. Das ist synodalrätliche Zensur.
Flückiger: Herr Hochuli, Sie reden viel und vor allem kreuz und quer. Sie haben das Gefühl, es geht hier in erster Linie um ein Machtstreben des Synodalrates. Aber ich kann ihnen versichern: Das ist nicht der Fall. Es geht darum, wieder ein Gleichgewicht in der Kirchgemeinde herzustellen. Aber wo besteht denn in den Luzerner Kirchgemeinden ein Ungleichgewicht, das Sie mit der Behördenwahl wieder ausgleichen müssen? Flückiger: Das Ungleichgewicht ist, dass bis anhin die theologische Verantwortung nur beim Pfarrer lag. Hochuli: Aber das ist doch gemäss Personalgesetz weiterhin so. Die Führung des Pfarramtes liegt bei der Pfarrperson und nicht beim Vorstand. Flückiger: Sie müssen aber unterscheiden zwischen Pfarramt und theologischer Verantwortung. Hochuli: Aber der Pfarrer trägt doch im Rahmen seines Pfarramtes auch die theologische Verantwortung. Flückiger: Aber beispielsweise eine Katechetin ist auch dem Vorstand unterstellt und wurde von ihm eingestellt. Oder ein Sigrist: Er hat zwar keine theologische Verantwortung, ist aber dafür verantwortlich, ob sich jemand in der Kirche wohlfühlt. Auch er wird vom Vorstand angestellt.

Aber mit Verlaub, Herr Flückiger. Das sind wahrlich keine Aufgaben innerhalb der Kirche, die sich mit denjenigen des Pfarramtes vergleichen lassen. Ein Pfarrer hat ja vor allem auch eine seelsorgerische Aufgabe.
Flückiger: Aber auch ein Diakon hat seelsorgerische Aufgaben. Und der wird ebenfalls vom Vorstand eingesetzt. Man kann schon sagen, ein Pfarrer hat eine spezielle Funktion. Aber gerade durch seine seelsorgerische Funktion können auch Abhängigkeiten entstehen.

Diese Form der Abhängigkeit kann aber immer entstehen – unabhängig davon, von wem eine Pfarrperson ins Amt gewählt wurde.
Flückiger: Das stimmt schon. Abhängigkeiten gib es immer. Aber es ist ein Unterschied, ob ein Pfarrer vom Volk gewählt wurde oder durch den Vorstand eingesetzt, der in solch einem Fall vielleicht mehr erkennen kann. Hochuli: Es geht doch um etwas ganz anderes: Bei der Volkskirche hat man den Grundsatz der gemeinsamen Gemeindeleitung. Der Pfarrer und der Kirchenvorstand bewegen sich auf gleicher Ebene – und zwar Hand in Hand. Ein Kirchenvorstand muss dem Pfarrer den Rücken frei halten, damit dieser sich um das Gemeindeleben kümmern kann. Es geht um das freie Bekennen und die freie Verkündigung in der Volkskirche – das gehört zusammen. Das sind nicht einfach dahingetragene Floskeln. Es geht um die inhaltliche Ausrichtung der Volkskirche.

Man könnte ja aber auch argumentieren, die Wahl des Pfarrers durch das Volk sei vollkommen antiquiert. Vielleicht ist ja die Behördenwahl die schon längst überfällige Adaption an die heutigen Strukturen der Gesellschaft.
Hochuli: Die Aufgaben des Pfarrers haben sich nicht gewandelt. Warum dann das Wahlverfahren? Wenn ein Pfarrer abends um fünf vor fünf einen Anruf bekommt mit der Mitteilung, jemand sei gestorben, dürfte dann künftig die Pfarrperson sagen, die Betroffenen sollen sich doch bitte an den Kirchenvorstand wenden, denn dieser hat ja die Leitung, auch theologisch? Aber diese ganze Diskussion ist doch viel Wirbel um nichts. Die Kirche steckt in der Krise und hat eigentlich ein ganz anderes Problem: Bei einer Stimmbeteiligung von rund zwei Prozent fehlen ihr die Wähler. Dagegen sollten Sie doch zuerst etwas tun.
Hochuli: Natürlich wollen auch wir eine aktive Kirchgemeinde. Das Referendum ist ein schönes Beispiel dafür. Bei der vorliegenden Frage geht es gerade in erster Linie um die Kontinuität der Volkswahl, ein aktives Beteiligungsrecht. Das ist uns wichtig.
Flückiger: Aber diese Kontinuität, die wir über die letzten Jahre hatten, brachte auch keine Fortschritte in Richtung einer modernen Kirche. Das könnte die Behördewahl ändern. Hochuli: Als mündiger Christ lasse ich mir mein Wahlrecht nicht wegnehmen. Wenn der Vorstand die Kirche durch Demokratieabbau und Volkswahlverbot «modernisieren» will, sage ich Nein dazu. Als Reformierter heisst es: selber denken, stimmen und wählen. Deshalb sagen wir Nein zum Personalgesetz.

27.'9.20018 / Mirjam Panzer

Unsere Empfehlungen

Mitglied sein oder nicht

Mitglied sein oder nicht

Die digitale Grossgruppen-konferenz der Reformierten Kirche des Kantons Luzern hat sich innert kurzer Zeit zu einem nationalen Event etabliert. Über 200 Teilnehmende aus allen Regionen und Bereichen nahmen teil und diskutierten über das Mitgliedsein.
Den Wandel meistern

Den Wandel meistern

Am 30. April stimmen die Mitglieder der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt über die Totalrevision der Kirchenverfassung ab. Für deren Annahme braucht es eine Zweidrittelmehrheit.