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«Es wird ein harter und schmutziger Kampf»

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08.03.2020
Aus Angst vor einer Spaltung habe Papst Franziskus den Reform-Zug gestoppt, sagt Vatikan-Kenner Marco Politi. Noch nie sei die Opposition innerhalb der Hierarchie so stark gewesen.

Wie viele Päpste gibt es: einen, eineinhalb oder zwei?
Marco Politi: Es gibt nur einen Papst. Aber es gibt die unbequeme Situation, dass mit Joseph Ratzinger ein zurückgetretener Papst weiterhin in Rom wohnt und noch immer in weiss auftritt.

Und er trägt den Titel Papst Emeritus. Das klingt, als sei er doch noch irgendwie Papst.
Der Titel ist ein Widerspruch. Es gibt emeritierte Professoren, aber keine emeritierten Päpste. In einem Interview hat Joseph Ratzinger einmal gesagt, er habe eigentlich vorgehabt, sich Bruder zu nennen. Doch offensichtlich hat ihn sein Umfeld davon überzeugt, am Papsttitel festzuhalten. Er orientierte sich dabei an Kirchen, in denen es emeritierte Patriarchen gibt. Das war kein Problem, solange sich Benedikt an sein Versprechen gehalten und geschwiegen hatte.

Beim stillen Gebet ist es nicht geblieben. Ratzinger hat publiziert, wie das emeritierte Professoren halt so machen.
Er blieb dennoch lange loyal und wies auch immer wieder Leute ab, die sich bei ihm über Franziskus beschwerten. Ratzinger war immer sehr korrekt. Auch im eigenen Interesse. Er wollte beweisen, dass ein zurückgetretener Papst keine Probleme verursacht. Das ist wichtig für die Zukunft der Kirche.

Weil die Päpste nicht jünger werden und sich Rücktritte häufen werden?
Davon ist auszugehen. Der Rücktritt war eine grosse Wende. Benedikt hat gesehen, wie Johannes Paul II. der Welt sein Martyrium zeigte, und wusste, dass das einmalig bleiben muss. Zudem war sein Vorgänger am Ende nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen, weshalb sein Umfeld für ihn entschied. Das wollte Benedikt verhindern. Er handelte mutig, edel und klarsichtig.

Aber warum war er nicht edel genug, um sich ins Schweigekloster zurückzuziehen?
Es war Franziskus, der ihn ermunterte, sich nicht zu isolieren und weiterhin zu reisen und Leute zu empfangen.

War das klug?
Franziskus wollte keinen Konflikt. Er kann nicht von Liebe, Barmherzigkeit und dem Wert der Diskussion predigen und zugleich seinen Vorgänger kaltstellen.

Dann hätte er den konservativen Verschwörungstheorien, Benedikt sei zum Rücktritt gezwungen worden, Nahrung gegeben?
Tatsächlich reagierte ein Teil der Gläubigen geschockt auf den Rücktritt von Benedikt. Einen absolut freiwilligen Rücktritt hat es in der Kirchengeschichte noch nie gegeben. Franziskus handelte klug, dass er Benedikts Gefolgsleute nicht sofort entfernte.

Risse bekam das harmonische Bild spätestens, als Benedikt einen Aufsatz über die Gründe für die Missbrauchsskandale publizierte.
Franziskus sah im klerikalen System die Wurzel für die sexuellen Übergriffe. Benedikt antwortete mit einem Artikel, in dem er die sexuelle Befreiung von 1968 und die Abkehr von der katholischen Moraltheologie als Ursache identifizierte. Aber Benedikt hat Franziskus vor der Publikation um Erlaubnis gebeten.

Und den Aufsatz im Buch von Kurienkardinal Robert Sarah, in dem Benedikt den Zölibat verteidigt, hat Franziskus auch durchgewinkt?
Nein. Das Buch ist ein Skandal.

Warum?
Hier geht es nicht um eine Analyse der Vergangenheit. Ob bei akutem Priestermangel Ausnahmen vom Zölibat möglich sein sollen, wie es die Amazonas-Synode gefordert hat, ist eine zentrale Zukunftsfrage der Kirche.  Benedikt meldete sich zu Wort, bevor sein Nachfolger seine Entscheidung publiziert hatte. Eine solche Intervention in einen Regierungsakt geht gar nicht.

Wie glaubwürdig sind die Beteuerungen von Erzbischof Georg Gänswein, dem Privatsekretär von Benedikt, der emeritierte Papst habe nichts vom Buchprojekt gewusst?
Vielleicht wusste er nicht, dass sein Name auf dem Umschlag steht. Aber das ist ein Detail. Man muss auch darauf hören, was nicht gesagt wird. Gänswein hat nie dementiert, dass Benedikt gemeinsam mit Sarah das Vorwort und die Schlussfolgerungen geschrieben hat. Er wollte nur nicht, dass beide Namen darunter standen.

Hat Sarah den zurückgetretenen Papst instrumentalisiert?
Kardinal Sarah mag konservativ sein, aber er ist ein sehr anständiger Mann. Er würde Benedikt nie hintergehen. Benedikt hat bewusst gehandelt.

Wie hat Franziskus auf den Affront reagiert?
Erzbischof Gänswein wurde etwas in den Schatten gestellt und tritt im Vatikan jetzt seltener öffentlich auf. Er hat als Protokollchef des Vatikans und Privatsekretär des zurückgetretenen Papstes ohnehin eine paradoxe Doppelfunktion.

Das klingt nicht so, als habe Franziskus durchgegriffen.
Franziskus ist in einer sehr schwierigen Situation. Die Antwort auf die Beschlüsse der Amazonas-Synode war für Dezember angekündigt und verzögerte sich bis Mitte Februar. Das zeigt, unter welchem Druck er stand. Hätte er erlaubt, dass verheiratete Diakone zu Priestern geweiht werden dürfen, wäre er auf den harten Widerstand in der katholischen Hierarchie getroffen. Nun hat er die Reformer enttäuscht.

Ist die Antwort auf die Amazonas-Synode nicht typisch Franziskus? Er sagt den Konservativen, was sie hören wollen. Zugleich lässt er vieles offen, indem er sein Papier neben die Forderungen der Amazonas-Synode stellt und sie explizit nicht ersetzt.
Die Antwort von Franziskus ist ein Zeichen für den Bürgerkrieg, der innerhalb der Kirche tobt. Es ist ganz klar, dass die ultrakonservativen Kräfte den Papst gestoppt haben. Franziskus bekam im letzten Moment Angst vor einer Kirchenspaltung. Eigentlich war er es ja selbst, der die Möglichkeit, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, überhaupt zur Diskussion stellte. In einer Synode werden nur Themen diskutiert, die der Papst vorher autorisiert hat. Der Prozess hin zu einer Aufweichung des Zölibats war also von Franziskus gewollt.

Hat der Einspruch von Joseph Ratzinger dazu geführt, dass Franziskus die Notbremse zog?
Nein. Als das Buch veröffentlicht wurde, hatte sich Franziskus bereits festgelegt. Aber das Buch von Kardinal Sarah ist das sichtbare Zeichen dafür, wie gross der Widerstand innerhalb der Hierarchie war.

In seinem Schreiben schliesst Franziskus die Priesterweihe für Frauen aus. Er wirft Frauen, die nach der Weihe streben, sogar Machthunger und Klerikalismus vor. Ist Franziskus halt doch konservativer als seine Unterstützer meinen?
Franziskus hat eine Priesterweihe für Frauen immer ausgeschlossen. Aber es gab Anzeichen dafür, dass er die Weihe von Diakoninnen vorantreibt. Auch diese Reform hat er gestoppt. Franziskus hält zwar am traditionellen Frauenbild der katholischen Kirche fest. Doch er setzt neue Impulse. So bezeichnete er Maria Magdalena als erste Evangelistin. Oder er sprach von Männern und Frauen, die bei der Fusswaschung dabei waren, also muss es auch Apostelinnen und Apostel gegeben haben. Zudem hat Franziskus begonnen, einzelne Führungspositionen im Vatikan mit Frauen zu besetzen.

Aber hat er die Kraft für konkrete Reformen?
Der Vatikan befindet sich in einer Phase der Stagnation. Ich interpretiere den Entscheid von Kardinal Marx, nicht mehr für das Präsidium der deutschen Bischofskonferenz zu kandidieren, so, dass er zurzeit in den Bereichen Frauen und Zölibat keinen Spielraum für Reformen sieht. Er hat genug davon, die Position des Papstes, die er nicht teilt, zu verteidigen.

Ist der Papst vor seinen Gegnern eingeknickt?
Franziskus ist zäh. Doch er sagte seinen Jesuitenbrüdern kürzlich auch, er fühle sich umzingelt.

Von den konservativen Kardinälen und Bischöfen?
Franziskus wird in die Zange genommen. Es gab noch nie eine derart starke Opposition innerhalb der Hierarchie gegen einen Papst. Sie scheut keine Eskalation. Hinzu kommt eine politische und ökonomische Opposition. Indem er den Raubtierkapitalismus kritisierte, eine ökologische Enzyklika veröffentlichte und sich für Flüchtlinge engagierte, schuf sich Franziskus politische Gegner.

Welche?
Da ist natürlich der amerikanische Präsident Donald Trump, dessen Umwelt- und Migrationspolitik der Haltung von Franziskus diametral entgegensteht. Zudem gibt es in Polen, Ungarn oder Italien eine starke nationalklerikale Bewegung. Die polnische Regierung sucht den Schulterschluss mit den Bischöfen und betet den Rosenkranz für geschlossene Grenzen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán beschwört christliche Werte, die mit der Agenda von Franziskus wenig zu tun haben. Oder der italienische Politiker Matteo Salvini gibt sich erzkatholisch, fordert aber das Gegenteil von dem, was der Papst predigt.

Franziskus hat doch auch viele Unterstützer.
Ja. Aber seine Gegner sind viel lauter. Die Reformer in der Kirchenhierarchie sind still. Sie lassen Franziskus allein.

Warum?
Vielleicht fehlt ihnen der Mut. Ein italienischer Bischof hat mir einmal gesagt, es sei, als ob alle ins Fussballstadion gehen, aber nur einer spielt auf dem Rasen.

Franziskus allein gegen die Mannschaft der Konservativen?
Franziskus hat viel erreicht. Er räumte in der Vatikanbank auf. Nun herrscht Transparenz, bei Finanzdelikten wird mit anderen Staaten kooperiert. Der Papst hat die Kirche dezentralisiert. Heute entscheiden zum Beispiel Beichtväter, ob Frauen, die abgetrieben haben, sowie wiederverheiratete Paare die Kommunion empfangen dürfen. Franziskus fegte diese sexuelle Besessenheit vom Tisch. Er empfing einen Transsexuellen aus Spanien und dessen Verlobte im Vatikan. Das wäre früher undenkbar gewesen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Franziskus ist nicht der Ankündigungspapst, als der er gerne beschrieben wird?
Dieses Klischee entspricht nicht der Realität. Aber die zweite Halbzeit seines Pontifikats wird sehr schwierig. Nach der Amazonas-Synode wurde Franziskus von seinen Gegnern an die Wand gedrückt. Er hatte sich auf eine neue Strasse gewagt, doch er musste einsehen, dass er auf den Abgrund der Kirchenspaltung zuraste. Deshalb hat er die Fahrt gestoppt.

Ist die Opposition ein Erbe seines Vorgängers?
Viele Kardinäle und Bischöfe in der Weltkirche haben tatsächlich eine Kulturkampf-Mentalität. Benedikt hat diese Haltung insofern vorgelebt, als dass er immer sehr pessimistisch war und von der Kirche in der Krise sprach. Seine Antwort auf die Krise war der Rückgriff auf die Tradition.

Wer ist weltweit in der Mehrheit: Konservative oder Reformer?
Am grössten ist die graue Mitte, die abwartet.

Auf das, was der Papst konkret beschliesst?
Sie warten auf den nächsten Papst. Inzwischen wurde zwar die Mehrheit der Kardinäle, die den Papst wählen werden, von Franziskus eingesetzt. Doch das Konklave ist eine Blackbox. Franziskus wurde damals als guter Hirte, als Mann der Mitte gewählt und entpuppte sich als Reformer. In den USA gibt es eine Gruppe, die bereits Informationen über mögliche Kandidaten sammelt.

Dirty Campaigning im Vatikan?
Das ist eine gefährliche Entwicklung. Jedenfalls wird die nächste Papstwahl ein harter und schmutziger Kampf.

Interview: Felix Reich, reformiert.info, 6. März 2020

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