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Am Rhein träumte Herzl vom jüdischen Staat am Jordan

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23.06.2022
Viele verbinden die Gründung Israels mit der Unabhängigkeitserklärung von 1948. Doch die Vision eines jüdischen Staates proklamierte Theodor Herzl 51 Jahre früher am ersten Zionistenkongress in Basel. Die Stadt am Rhein gilt als Geburtshelferin von Israel.

Eigentlich hätte der Kongress in München stattfinden sollen, doch dagegen wehrte sich die dort ansässige jüdische Gemeinde. Und das liberale Zürich, wo etliche russische Oppositionelle lebten, war dem Wiener Journalisten Theodor Herzl suspekt. Er wollte es mit dem Zaren nicht verderben und fürchtete den russischen Geheimdienst. So eröffnete Herzl am 29. August 1897 den ersten Kongress der Zionisten in Basel. Später schrieb er in sein Tagebuch: «In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.»

Herzl war ein Verkaufstalent. Er bewegte sich ganz in seiner Epoche, als in Europa etliche Nationalstaaten entstanden. Er inszenierte alles, was es zur Gründung einer Nation bedurfte, Davidstern und Nationalhymne, und bediente sich bei alten Mythen und Helden. Bis ins Kleinste – man habe auf dem Kongress in Frack und weisser Halsbinde zu erscheinen – gingen seine Regieanweisungen. Er wollte der Welt zeigen, wie er sich die zionistische Bewegung und seinen neuen Judenstaat vorstellte: weltweit agierend und westeuropäisch. Deutsch sollte im Heiligen Land gesprochen werden, und in Wiener Kaffeehäusern wollten die Zionisten ihren Kaffee geniessen.

Herzls Vorstoss geschah nicht grundlos: Intuitiv erfasste er die heraufbrechende Katastrophe, die rund vierzig Jahre später Millionen Juden das Leben kosten sollte. Als Korrespondent verfolgte er 1894 in Paris den «Dreyfus-Prozess», bei dem der unschuldige jüdische Artillerieoberst wegen Landesverrat verurteilt wurde. Und Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung erschütterten wiederholt Osteuropa. Für Herzl war klar: Gegen Antisemitismus und Verfolgung schützte die Juden nur eine gesicherte Heimstätte in Palästina. Die Hoffnung, dass die Werte der Aufklärung und die Integration der Juden in die Gesellschaft den Antisemitismus besiegen würden, hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts zerschlagen. Im Gegenteil: Neue pseudowissenschaftliche Rassenlehren ebneten den Weg zur Ermordung von 6 Millionen Juden.

Feierlichkeiten in Basel
Zum 125-Jahre-Jubiläum des ersten Zionistenkongresses veranstalten die Zionistische Weltorganisation und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund in Basel verschiedene Anlässe, zu denen man 1000 Besucher aus aller Welt erwartet, darunter den israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog und Bundespräsident Ignazio Cassis.

«Der 29. August 1897 stellt ein zentrales Datum in der zionistischen, aber auch der jüdischen Geschichte dar», erklärt Ralph Lewin, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Basel gelte als Geburtshelferin des Staates Israel. Sowohl der damalige Regierungsrat als auch die hiesige jüdische Gemeinde hätten den ersten Zionistenkongress ausdrücklich willkommen geheissen.

Die Teilnehmenden des ersten Zionistenkongresses hätten sich in Basel wohl gefühlt und die Gastlichkeit gelobt, erklärt der Basler Regierungspräsident Beat Jans. «Theodor Herzl sprach unserer Stadt ausdrücklich seinen Dank aus, auch der Basler Regierung, die der Veranstaltung ihre Sympathie ausdrückte. Die Regierung rückte im Vorfeld des Kongresses deutlich von antijüdischen Tendenzen ab und setzte sich nachdrücklich für Basel als Kongressort ein.» Basel trete ein Erbe an und wolle auch 2022 als offene Gaststätte wahrgenommen werden.

Gute Beziehung zur jüdischen Bevölkerung
In Basel gibt es auch heute eine enge Beziehung zwischen den christlichen Kirchen und den jüdischen Gemeinden. Die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft beider Basel engagiert sich für den Dialog zwischen den Religionen und bekämpft seit Jahren den Antisemitismus und Rassismus.

Vorab legte der vor kurzem verstorbene Neutestamentler Ekkehard Stegemann immer wieder den Finger auf den Antijudaismus, der jahrhundertelang das Christentum und die Kirche unheilvoll beherrschte. Die Christen nahmen für sich in Anspruch, als das wahre Israel an die Stelle des jüdischen Volkes getreten zu sein. Dies, so Stegemann, war nicht nur ein geistlicher Anspruch, sondern er legitimierte die Diskriminierung der Juden in der Gesellschaft und den Besitzanspruch der Christen auf das Heilige Land in Palästina. Erst die Katastrophe der Schoa führte dazu, dass die Kirchen gegen Ende des letzten Jahrhunderts von dieser Haltung abrückten.

Für Stegemann war die zionistische Bewegung nicht nur eine Antwort auf den schwelenden und offenen Antisemitismus, sondern auch darauf, dass die christlich geprägten Nationalstaaten nicht bereit waren, bei der religiösen Gleichberechtigung die jüdische Identität zu garantieren. Wie im Kulturkampf mit dem Vatikan sollte sich die jüdische Identität nach den Bedingungen der Moderne richten.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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