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Zwingli jenseits der Klischees erfahrbar machen

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17.03.2016
Viele Themen der Reformation sind heute noch aktuell. Wie die Stichworte von damals die politische Debatte noch heute beleben, veranschaulichte der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller bei der Buch-Vernissage für die neue Zwingli-Biografie von Kirchenhistoriker Peter Opitz.

«Alles Zwingli oder was?» - unter dieser Überschrift stand die Buchvernissage zu der neuesten Biografie von Huldrych Zwingli. Und tatsächlich: Zwingli ist auferstanden. Nicht als zorniger Reformator mit Donnerstimme, um die Misere dieser aus den Fugen geratenen Welt anzuklagen. Nein, er steht da in der Eingangshalle als netter Grüssonkel, um die rund 60 Besucher persönlich zu empfangen. Die Stimme hat ihm der Figurenspieler Michael Schwyter gegeben.

Zwingli zur Karikatur verzeichnet
Buchvernissage für Zwingli: Nach vielen Jahrzehnten hat sich der Zürcher Kirchenhistoriker Peter Opitz daran gemacht, dem Reformator wieder eine wissenschaftliche Biografie zu widmen. Dass so viel Zeit verstrichen ist, bis wieder ein Forscher den Zürcher Reformator unter die Lupe nimmt, zeigt: Zwingli ist ganz im Schatten von Luther und Calvin vergessen gegangen. Diesen Fakt widerlegen auch nicht pfiffige regionale Vermarktungsideen vom Zwinglibier bis zur Zwingliwurst. Das ist auch die Diagnose von Opitz, der herausstellt: Im öffentlichen Bewusstsein schrumpfe Zwingli zusammen zu einer Karikatur. Das Zwingli-Klischee, jeder könne es bei Google selber testen, so der Professor des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte, sei eindimensional und schlicht: Zwinglianisch stehe da für Sittenstrenge - jeder Sinnlichkeit abhold.

Dass Zwingli vergessen sei, dass könnte wiederum durchaus im Sinne des Zürcher Reformators sein, so der Biograf. Und dann projizierte Opitz einen Zwingli-Satz auf die Leinwand: «Vor dem Herrn bezeuge ich: wenn dann meine Schriften einmal von allen gelesen wären, so wünschte ich, mein Name geriete allenthalten wieder in Vergessenheit».

Solidarisches Abendmahl
Wer kennt die Zwingli-Schriften noch? Wer hat eine Idee von seiner Gedankenwelt? Das war denn auch das Anliegen von Opitz in seiner biografischen Skizze: Vor allem Zwinglis Theologie sollte im Fokus stehen. Ein Kernstück zwinglianischen Denkens erläuterte Opitz mit dessen Abendmahllehre. Vielleicht ist es geradezu ironisch, dass er die Ideen des angeblich bilderfeindlichen Reformators mit der Schmuckseite eines Zwingli-Traktats erläuterte: Da wird die Realpräsenz Jesu Christi bei der Mahlfeier als ein Akt in der Gemeinschaft dargestellt - die Israeliten lesen in der Wüste das Manna auf, die Juden sitzen zum Pessachmahl zusammen und als solidarische Tischgemeinschaft teilt schliesslich Jesus mit seinen Jüngern Brot und Wein.

Der Rückbezug auf den Exodus, das stellt Opitz auch immer wieder in seinem Büchlein heraus, ist für Zwingli zentral. Aus dieser «göttlichen Befreiungs- und Heilsgeschichte» bezieht der Reformator in den turbulenten Umbruchszeiten seine Hoffnung. «Zwingli hat sich durchaus in der Tradition des alttestamentlichen Propheten gesehen», so Opitz. Und wie drückend die Zeitumstände auf Zwingli lasteten und wie befreit er sich durch die neu gelesene Heilige Schrift fühlte, veranschaulichte Opitz wiederum mit einem Zitat des Reformators: «Sehen wir nicht mit Schaudern, dass heutzutage überall Bosheit herrscht? Wenn sich nun jetzt inmitten aller Bosheit das Wort Gottes neu auftut, erkennen wir nicht, dass hier Gott selbst am Werk ist.»

Türken damals und heute
Diese eigentümliche Spannung zwischen einer untergehenden Welt und einer unbekannten Zukunft machte auch der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller zum Thema. Stichworte der damaligen Zeit stünden plötzlich in seltsamer Korrespondenz zu aktuellen Schlagzeilen. Wie heute bestimmten bereits im frühen 16. Jahrhundert, also zur Zeit der Reformation, die Türken die grosspolitische Wetterlage. Und das Stichwort Religionsfreiheit habe gerade jetzt wieder weltweit Konjunktur. Müller warnte aber davor, mit Zwingli alles zu begründen zu versuchen.

Gott - für den menschlichen Geist nicht fassbar
Aber auch Zwingli persönlich hatte das Wort. Und da war er dann nicht mehr der nette Grüssonkel, sondern durchaus als alttestamentarischer Prophet spürbar. Der Schauspieler Michael Schwyter verlieh ihm eine machtvolle Stimme und liess auch das sinnlich-bildhafte seiner Theologie aufleuchten mit Sätzen wie diesen: «Was aber Gott ist, das wissen wir aus uns ebenso wenig, wie ein Käfer weiss, was der Mensch ist.»

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Delf Bucher / reformiert. / 17. März 2016

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