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Auf den Spuren der Flüchtlinge

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01.01.2016
Vor mehr als 350 Jahren flohen 300 000 Glaubensflüchtlinge aus Frankreich. Das Schicksal dieser Hugenotten gleicht in vielem dem, was Menschen heute auf ihrer Flucht aus dem Nahen Osten erleben.

Die Tragödie geschieht am 8. September. Betrunkene Schiffsleute steuern die Barke mit den 137 Flüchtlingen auf eine Kiesbank. Das Schiff kentert und 111 Flüchtlinge ertrinken in den Fluten. Die Katastrophe ereignet sich nicht im Jahr 2015 im Mittelmeer, sondern 1687 auf der Aare zwischen Aarberg und Lyss. In diesen Jahren flüchten 300 000 Hugenotten aus Frankreich.
Ludwig XIV. hatte den Katholizismus zur Staatsreligion erklärt. Hugenotten werden zu Ketzern erklärt, inhaftiert oder auf die Galeeren verbannt. Die Flucht ins Ausland ist strengstens verboten. Trotzdem nehmen Tausende das Risiko auf sich. Viele dieser Reformierten ziehen durch die Eidgenossenschaft. Rund 20 000 lassen sich dauerhaft in der Schweiz nieder und gründeten Betriebe im Uhrensektor oder der Seidenproduktion.
Heute führt der Hugenottenweg auf den Spuren der Glaubensflüchtlinge von Südfrankreich auf einer Länge von 1800 Kilometern durch die Schweiz nach Bad Karlshafen in Hessen. Die Pforte zur Freiheit bildete damals die Rhonestadt Genf, die ehemalige Wirkungsstätte des Reformators Jean Calvin.
In der Schweiz folgt der Weg von Genf über Biel nach Bern, Solothurn, Aarburg, Zofingen, Lenzburg, Aarau und Schaffhausen. Auf dieser Strecke zogen die Hugenotten durch die reformierten Gebiete. Um die katholischen Orte machten sie einen Bogen. In Aarburg etwa stiegen sie aus den Fähren, um das katholische Olten zu umgehen. Sie befürchteten, von französischen Spitzeln aufgespürt zu werden.
Die reformierten Orte der Eidgenossenschaft nahmen ihre Glaubensgeschwister grosszügig auf. Bald stieg ihre Zahl in den Städten massiv an: 1687 lebten in der Stadt Schaffhausen, die 5000 Einwohner zählte, 9000 Flüchtlinge. Die Solidarität der einheimischen Bevölkerung war gross: Auf Kosten des Rates wurden die Hugenotten in den Gasthäusern einquartiert und bei Privaten untergebracht. Als dies auch nicht mehr reichte, logierten die Flüchtlinge in Spital, Schützenhaus oder Elendherberge.
Bald stiessen die Städte an ihre Grenze und waren bestrebt, dass die Hugenotten nach Norden weiterzogen, etwa nach Brandenburg. In diesen Jahren, in denen auch viele Schweizer in Armut lebten, machten über 26 000 Flüchtlinge Halt in der Munotstadt.
Die Zeit der Glaubensflüchtlinge war die Geburtsstunde des Asylwesens und des Flüchtlingsstatus: Am Eintrittsort in die Schweiz versah man die Hugenotten mit Ausweisen, mit denen sie Anspruch auf Unterstützung hatten. Und für die Weiterreise erhielten sie Reisegeld und Proviant. Im Laufe der Jahre errechneten sich reformierte Orte einen Schlüssel, nach dem die öffentlichen Kosten getragen wurden.
Vor kurzem wurde der Schaffhauser Abschnitt des Hugenenottenwegs eingeweiht, der von Schaffhausen-Herblingen nach Thayngen führt. Vorbei an Rebbergen, Wäldern und malerischen Weilern. Das Wegstück ist Teil des europäischen Kulturwanderwegs. Den Hugenotten dürfte vor über 300 Jahren die Muse für die Schönheiten der Landschaft gefehlt haben. So wie heute den syrischen Flüchtlingen auf ihrer Fahrt über das Mittelmeer.

Tilmann Zuber

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