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Luzern: Ein Ausflug in unbekannte Gefilde

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01.01.2016
Worships, Seminare, Infostände und rund 6000 Besucher: Auf dem Messegelände hat zum Jahreswechsel das evangelikal-charismatische Megaevent «Explo 15» stattgefunden. Ein Tag im Selbstversuch.

Mittwoch, 30. Dezember, kurz vor halb 10 Uhr morgens: Kein Problem, den Ort zu finden, es reicht den Menschenströmen zu folgen. Die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt und ausgesprochen gut gelaunt.

Die Medienleute müssen einen Moment warten, dann kriegen auch sie das Eintrittsbändchen ums Handgelenk geschlungen, einen pinkfarbenen Badge um den Hals und einen Begleiter, der sie den Tag über durch das Event lotsen soll. Etwas speziell, aber die Nordkorea-Assoziationen sind sicher vollkommen überzogen. Trotzdem sage ich dem netten jungen Mann nach einiger Zeit, dass ich es vorziehe, mich auf eigene Faust umzuschauen. Kein Problem, ich kriege einen neuen Badge für Unbegleitete und bin frei.

Volle Messehalle
Halle 1, laut Betreibern mit 6'000 Plätzen die «grösste Location der Region» ist fast voll. «Happy to serve» steht auf den Ansteckern der über 600 Freiwilligen, die im Vorspann verdankt werden. Ein Paar legt Zeugnis ab. Es hat durch einen Alphalive-Kurs seine «ehebrecherische Beziehung» überwunden und geheiratet. Die Menge applaudiert.

Danach spricht Dabrina Bet Tamraz. Die Iranerin und aramäische Christin lebt seit 2010 in der Schweiz, wo sie Asyl erhalten hat. Ihr «Verbrechen»: Die Missionierung von iranischen Muslimen. Sie berichtet von einer wachsenden Gemeinde, die sich heimlich in Hauskreisen versammelt, von Heilungswundern im Spital, vom «Hunger nach Gottes Wort» der Menschen dort, die sich um die verteilten Bibeln rissen.

Zwiespältige Gefühle

Die gut landeskirchlich geeichte Reformierte hat da zwiespältige Gefühle. Muslime bekehren, muss das sein? Sollten sich die Religionen nicht in gegenseitigem Respekt begegnen? Andererseits: Vielleicht gibt das Christentum den Menschen dort ja wirklich eine Hoffnung, die sie sonst nicht hätten. Der Bericht von Bekehrung, Verfolgung und Flucht dieser Frau ist jedenfalls bewegend. Sie ist nicht nur eine brillante Rednerin, sondern vollkommen überzeugt von dem, was sie sagt.

Weniger inspirierend ist der Folgeredner Brian Houston, auch wenn er unzählige Gemeinden gegründet hat. Ja gut, Gott hat Aussergewöhnliches getan und tut es immer noch. Aber muss denn immer alles aussergewöhnlich sein? Auch bei Campus-für-Christus-Leiter und Explo-Initiant Andreas Boppart purzeln die Superlative nur so. Sein Lieblingswort ist «unglaublich». Dabei geht es doch um Glauben, oder? Das Motto der Veranstaltung ist jedenfalls «Fresh Faith».

Freikirchler, Reformierte und Katholiken
Kein Zweifel: Das hier ist ein evangelikal-charismatisches Event. Die Besucher kommen zu drei Vierteln aus über 20 Freikirchen. Aber es sind auch etliche Reformierte da. Und rund 600 Katholiken, als Stargast sprach sogar der Prediger des Vatikans Raniero Cantalamessa. «Das wäre vor 20 Jahren nicht möglich gewesen, dass die so etwas zusammen veranstalten», sagt eine Reformierte der Elterngeneration aus dem Zürcher Oberland.

Im Explo-Village in der Halle nebenan stehen über 50 Informationsstände. Alte Bekannte sind hier, die Evangelische Allianz, die Heilsarmee oder die Kollegen von Life Channel. Soziale Organisationen, wie der aargauische «Wendepunkt». Die christliche Polizeivereinigung. Und dann gibt es noch vollkommen Neues für mich. Den «Bergklub» zum Beispiel, in dem man einen Schweizer Gipfel «adoptieren» kann, um für ihn (oder von ihm aus?) zu beten.

Missbrauch durch Satanisten?
Am befremdlichsten ist der Stand der Organisation Care About Ritual Abuse (Cara), die sich um Opfer von ritueller Gewalt kümmert. Es gebe verbreitet satanistische Gruppen, die Kinder missbrauchten und sogar Satan als Menschenopfer darbrächten. Man wisse viel zu wenig darüber, weil das Phänomen bis in die höchsten Kreise der Gesellschaft reiche, heisst es. «Ich wurde mit 14 Jahren von meiner Mutter an diese Leute verkauft», erzählt mir eine Frau. Sie sei schwanger geworden und habe ihr Neugeborenes opfern müssen.

Das ist schon ganz schön verstörend. Eine nachträglich unternommene Internetrecherche bestätigt die Existenz solcher Gruppen allerdings nicht. In Deutschland führten angezeigte Fälle von ritueller Gewalt zu breit angelegten polizeilichen Ermittlungen. Ein Beweis für derartige Straftaten konnte in keinem Fall erbracht werden. Auch auf inforel.ch finden sich keine Einträge über solche Machenschaften.

Prophezeiungen für die Katz
Für die Oasen, Räume der Stille, kreativen Gebete und diversen Segnungen fehlt leider die Zeit. Krönender Abschluss meines Tages ist der charismatische Jugendpfarrer Mike Pilavachi aus England. Der Mann wäre eine Zierde für jedes Kabarett, so witzig und selbstironisch ist sein Vortrag. Zum Beispiel wenn er erzählt, wie er prophetische Rede an seiner Katze übte. Denn darum geht es: Anderen mitzuteilen, was Gott ihnen sagen will, um sie «zu stärken und zu ermutigen». Pilavachi spricht von verblüffenden Begebenheiten, bei denen er richtig lag, ohne vorher eine Ahnung zu haben. Gibt es das wirklich?, fragt sich die Skeptikerin? Und wenn ja, warum machen wir «Liberalen» das nicht?

Viele Fragen bleiben nach diesem Tag auf unbekanntem Terrain. Aber auch die Erinnerung an gute Gespräche mit warmherzigen und engagierten Menschen. Es ist sicher kein Schaden, ab und zu die Berührungsängste zu überwinden. Denn zum gegenseitigen Verständnis muss man sich doch noch viel besser kennenlernen.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Zum Bild: Fast wie in der Disco: Anbetung auf der Explo15.
Foto: ref.ch/Marianne Weymann

Marianne Weymann / ref.ch / 4. Januar 2016

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