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Hotline für verzweifelte Bauern

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17.08.2022
Seit 25 Jahren leiht das Bäuerliche Sorgentelefon Landwirten in Not ein Ohr. Kostenlos und anonym. Getragen wird es unter anderem von der Schweizerischen Reformierten Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft.

Die Frau ist verzweifelt. Mit ihrem Mann lebt sie auf einem abgelegenen Bauernhof. Beide sind über 70, das Land ist verpachtet. Doch was tun mit dem Hof? Die Söhne haben kein Interesse. Die Frau ist gesundheitlich angeschlagen, weiss nicht, wie lange sie noch Auto fahren kann. Sie hat Angst zu vereinsamen. Man müsste den Hof verkaufen und ins Dorf ziehen. Doch der Mann hängt am Hof und unternimmt nichts. Sie aber mag nicht mehr, weiss nicht mehr weiter. Schliesslich greift sie zum Hörer und tippt die Nummer des Bäuerlichen Sorgentelefons ein.

Streit zwischen Generationen
Solche und ähnliche Fälle spielen sich zu Dutzenden auf Schweizer Bauernhöfen ab. «Generationenkonflikte und Hofübergaben sind die häufigsten Sorgen der Anrufenden», sagt Patrizia Schwegler. Die gelernte Landwirtin und studierte Agronomin ist Geschäftsführerin des Bäuerlichen Sorgentelefons. Oft seien es Frauen, die anriefen. «Sie heiraten einen Bauern samt Hof und Familie und haben es manchmal schwierig, ihren Platz in der Familie und im Betrieb zu finden.» Wenn die abtretende Generation noch auf dem Hof wohne, gar im selben Haus, so könne das zu Generationenkonflikten führen. In solchen Fällen empfehle sie mehr Distanz. «Es hilft, ins Stöckli oder ins Dorf zu ziehen, um der nächsten Generation mehr Luft zu geben. Oft ist dies aber aus finanziellen Gründen schwierig.»

Das Bäuerliche Sorgentelefon bietet seit 25 Jahren kostenlose Beratung für Landwirte an. Getragen wird es von kirchlichen und landwirtschaftlichen Kreisen. Der Präsident ist ein reformierter Pfarrer, die Mitarbeiterinnen arbeiten weitgehend ehrenamtlich. Zehn Frauen und Männer – alles aktive oder pensionierte Bäuerinnen und Bauern – teilen sich den Telefondienst. Rund drei Anrufe verzeichnet das Sorgentelefon pro Woche. Lohnt sich das überhaupt? «Für den einzelnen Anrufer kann das Gespräch enorm wichtig sein», betont Schwegler. «Es braucht oft Mut, beim Sorgentelefon anzurufen. Der Leidensdruck ist dann schon hoch.» Über die Jahre sei die Zahl der Anrufe leicht rückläufig. Dafür habe die Gesprächsdauer zugenommen. Ein Anruf dauert im Schnitt eine halbe Stunde.

Endlich hört jemand zu
Als die verzweifelte Frau vom abgelegenen Bauernhof die Nummer des Sorgentelefons wählt, nimmt M. Keller.* den Anruf entgegen. «Viele melden sich zaghaft», erzählt die freiwillige Mitarbeiterin. «Sie wissen kaum, wie beginnen.» Keller bleibt ruhig, fragt nach, ordnet die Gedanken. «Oft sind sie erleichtert, dass ihnen endlich jemand zuhört.» Immer mehr Probleme kommen nun zum Vorschein: Spannungen mit den Kindern, Sorgen um die Gesundheit. Schliesslich verweist Keller die Frau nach einem stündigen Gespräch an eine kantonale Beratungsstelle.

Die Probleme auf den Bauernhöfen haben traurige Folgen. 2018 stellte eine Studie der Universität Bern fest, dass Landwirte eine überdurchschnittliche Suizidrate aufweisen. Besorgniserregend: Während die Rate in der Schweiz allgemein sank, stieg sie im untersuchten Zeitraum bei Bauern deutlich an. Die Untersuchung bezieht sich allerdings auf die Jahre 1991 bis 2014. Neuere Zahlen sind kaum vorhanden.

Auch Männer holen sich Hilfe
Anrufe mit akutem Suizidbezug sind beim bäuerlichen Sorgentelefon selten. «Sie gehen einem aber nahe», gibt M. Keller unumwunden zu. Sie versuche, Mut zu machen, den nächsten Schritt aufzuzeigen, Hilfe zu vermitteln. Mehr kann sie nicht tun. «Manchmal wünschte ich mir, ich könnte später nochmals zurückrufen und nachfragen», sagt Keller. Doch das geht nicht. Denn das Bäuerliche Sorgentelefon ist anonym. «Ich muss dann halt einfach loslassen.»

Bauern sind zäh. Bei Beschwerden beisst man sich durch, statt zum Arzt zu gehen. Über psychische Probleme spricht man schon gar nicht. So lautet das Klischee. Aber stimmt es auch? «Das hat schon was», sagt Patrizia Schwegler. «Aber die Bereitschaft, sich Hilfe zu holen, steigt auch in der Landwirtschaft.» M. Keller bestätigt: «Mittlerweile rufen auch viele Männer an. Sie können sehr offen sein. Ich wünschte mir, dass Bauernpaare miteinander reden können, über Träume und Ziele, auch nach der Pensionierung. Nicht nur einmal, sondern immer wieder.»

Stefan Degen

*Name der Redaktion bekannt

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