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Palliative Care: Die inneren Kräfte wecken

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25.02.2016
Glaube und Spiritualität können helfen, Lebenskrisen zu bewältigen. Der Theologe und Hospizexperte Traugott Roser untersucht, wie Schwerkranke, Angehörige und Pflegende ihre seelischen Widerstandskräfte wecken und stärken können.

«Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben», sagte die englische Ärztin Cicely Saunders. Damit brachte die Begründerin der modernen Hospizbewegung auf den Punkt, worum es bei der Palliative Care geht. Es gilt, die Lebensqualität von Schwerkranken und Sterbenden bis zum letzten Atemzug zu erhalten, ihre Würde als Menschen zu achten und sowohl die Patienten wie ihre Familien umfassend zu betreuen.

Die Kirchen sind gefordert

Die christlichen Kirchen haben eine lange Tradition in der seelsorgerlichen Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden. Doch heute vertreten dieses Anliegen nicht mehr nur Theologen, auch Mediziner setzen sich für die Palliative Care ein. Demgegenüber steht der Ruf nach der Zulassung von Sterbehilfeorganisationen in Altersund Pflegeheimen. Die Kirchen sind gefordert und besinnen sich auf ihre Tradition.

An einer ökumenischen Fachtagung beschäftigen sich die Landeskirchen beider Basel Anfang März mit dem Thema «Palliative Care». Der Theologe und Hospizexperte Traugott Roser von der Universität Münster wird in einem öffentlichen Vortrag einen weiteren Aspekt von Palliative Care ansprechen: Die Resilienz oder die Widerstandskraft der Seele.

Roser geht der Frage nach, warum manche Menschen Traumata und Lebenskrisen besser bewältigen als andere. Dies beschäftigte bereits die Griechen, die es mit der Gunst der Götter erklärten. Die Calvinisten sahen den Grund in der Vorbestimmung und Erwählung durch Gott.

In den Siebzigerjahren untersuchten die amerikanischen Psychologinnen Emmy Werner und Ruth Smith das Phänomen «Resilienz». In einer Langzeitstudie beobachteten sie den Lebensweg von 698 Kindern auf der hawaiischen Insel Kauai. Sie litten unter Armut, Bildungsbenachteiligung und psychischen Erkrankungen der Eltern. Ein grosser Teil der Kinder rutschte in die Kriminalität und Drogensucht ab. Einige aber schafften es, die schwierigen Lebensumstände hinter sich zu lassen. Werner und Smith führten dies auf Merkmale wie gutes Aussehen, ein positives Temperament und Intelligenz zurück. Diese Faktoren stiessen im Umfeld der Kinder auf positive Reaktionen.

Neben der Umwelt, den Genen und dem Charakter einer Person benennt die Resilienz-Forschung weitere Faktoren, die ausschlaggebend sind für die Bewältigung von Lebenskrisen: Den Optimismus, in den schwierigen Situationen auch das Positive zu sehen, den Realitätssinn, Dinge und Menschen zu akzeptieren, die Kreativität, Lösungen zu entwickeln, Selbstvertrauen, um der Opferrolle zu entrinnen, den Willen, Verantwortung zu übernehmen und die Zukunft zu gestalten, und die soziale Kompetenz, Freundschaften zu pflegen.

Der Theologe Traugott Roser legt sein Augenmerk auf den Glauben und die Spiritualität, die als innere Ressourcen die Widerstandskraft eines Menschen stärken. Er führt als Beispiel den Neurologen und Psychiater Viktor Emil Frankl an. Im Buch «... trotzdem Ja zum Leben sagen» verarbeitet dieser seine Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern, wo Vater, Mutter, Ehefrau und Bruder starben. Frankl stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens ins Zentrum.

Das Erleben von Sinn gibt Kraft

Erlebnisse von Sinn sind neben biografischen Erfahrungen für Traugott Roser die wichtigsten Faktoren, die für das «Standhalten und aushalten können» verantwortlich sind. Beides sei oft mit religiösen und spirituellen Deutungen verbunden. Dies zeigt eine Untersuchung bei Patienten mit chronischen Erkrankungen. 61 Prozent sagten, dass Spiritualität und Religiosität ihnen helfen, bewusster mit dem Leben umzugehen. Ebenfalls weit über die Hälfte gaben an, dadurch Zufriedenheit, Kraft und inneren Frieden zu finden sowie eine tiefere Beziehung zu Mitmenschen.

Bekehrungsversuche am Sterbebett seien jedoch verfehlt, warnt Roser. Wer nie etwas mit Glaube und Religion habe anfangen können, erlebe das auch am Ende des Lebens kaum als sinnerfüllend. Doch jeder Mensch verfüge über innere Ressourcen und Selbstheilungskräfte. Es gelte, diese zu entdecken und zu stärken. Hier sieht der Theologe auch die Aufgabe der Seelsorger und Sterbebegleiter. Sie sollen nicht mit Ratschlägen helfen, sondern die eigenen Kräfte der Patientinnen und Patienten wecken. Und bei sich selber die inneren Ressourcen aktivieren. Denn nur, wer um seine eigenen Kräfte wisse, könne sie bei anderen freisetzen und stärken.

Karin Müller

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