Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

«Das Gebet gehört zum Leben»

min
01.01.2016
Für den Alt-Bundesrat basiert die Schweizer Gesellschaft auf dem Christentum. Und das Gebet gehört zur Elternpflicht Ein Gespräch zwischen Nationalfeier- und Bettag.

Was rührt Sie an einem 1. August zu Tränen?
Samuel Schmid: Ich lebe stark in dem, was geschieht. Und da gibt es «gäng» wieder rührende Momente. Ich kann mich an einen ersten August auf dem Rütli erinnern. Da waren rechtsextreme Chaoten im Hintergrund. Sie drohten die ganze Feier zu sprengen. Ich liess mich bewusst nicht provozieren und hielt meine Rede. Es hatte viele ältere Leute dort, vor allem aber Familien mit Kindern. Das Ganze war eine Gratwanderung. Doch es ging alles gut. Am Schluss brachte mir eine Frau aus Dankbarkeit zwei selbst «glismeti» Socken. Das war so ein rührender Moment. Es berührt mich auch, wenn ich ein strahlendes Kind sehe, für das der 1. August zu einem prägenden Erlebnis wird. Ich bin in solchen Situationen schnell gerührt ausser wenn ich «verruckt» bin.

Was gefällt Ihnen an unserer Hymne?
Ich habe keine Mühe mit der Melodie, ich habe auch mit dem Text keine Mühe. Mich dünkt es ein Modegeschrei, wenn man sagt, diese Hymne passe nicht mehr in die heutige Zeit. Ich habe schon die verschiedensten Nationalhymnen gehört. Jede hat ihren Reiz. Jede kann mit der Zeit auch einigen Leuten verleiden. Eine Hymne soll einen immer wieder an die Werte des eigenen Landes erinnern. Das macht unsere Hymne, und es ist gut, dass sie das auf dem christlichen Fundament macht. Unser Land und die Kultur unseres Landes stehen auf diesem Fundament.

Gehört eine Landeshymne in den Lehrplan unserer Volksschule?
Ja, ich meine, dass unsere Schüler die Landeshymne kennen und auch singen sollten. Wer traditionelle Lieder nicht mehr fleissig singt, verliert einen Teil unserer Kultur. Und die Hymne gehört zu unserer Kultur. Die Hymne sollte im Rucksack unserer Kinder sein, wenn sie die Schule verlassen.

Inbrünstig fordern wir mit unserer Landeshymne auf, zu beten. Wofür sollten wir beten?
Schauen Sie, dass ist eine ganz persönliche Sache. Ich selber habe den Eindruck, dass es durchaus Grund gibt, um zu beten. Ich stelle fest, dass die Schweiz verunsichert ist. Und wenn man unsicher ist und Angst hat, dann ist es naheliegend, dass man ein Geländer sucht. Das Gebet kann ein solches Geländer sein. Ich selber wurde so erzogen, dass das Gebet zum Leben gehört.

Welchen Stellenwert hat das Gebet für Sie?
Für mich bedeutet es ein Darbringen von Dank, aber auch von Fragen. Man sucht in einer bestimmten Situation einen Weg, und man bekommt dann auf irgendeine Art auch eine Antwort von Gott. Manchmal besteht mein Gebet auch aus einer Fürbitte.

Wie haben Sie beten gelernt?
Das Gebet gehört doch zu den Elternpflichten. Bevor ein Kind schlafen geht, wird gebetet. Das haben meine Eltern so gemacht, das haben die Eltern meiner Frau so gemacht, das haben wir bei unsern Kindern so gemacht. Jetzt machen es unsere Kinder bei den Grosskindern so. Damit wird ein Pfad gelegt, der später hoffentlich im Religionsunterricht fortgesetzt wird. Es soll uns allerdings bewusst sein, dass das Gebet keine Spielerei ist. Das Gebet ist etwas Ernstes.
Was macht Ihnen Angst, wenn Sie an die Zukunft der Schweiz denken?
Ich möchte nicht von Angst reden. Aber mir gibt einiges zu denken. Zu denken gibt mir, dass unsere Zeit global überhaupt nicht sicherer geworden ist. Wir haben heute mehr Konflikte, als wir sie während des Kalten Krieges über lange Zeit hatten. Wir haben vor allem diffusere und damit auch schwerer fassbare Konflikte. Wir haben grosse Konflikte, die mit religiösen Auswüchsen zu tun haben. Ich sage ausdrücklich «Auswüchse», weil Religionen im Grundsatz nicht kriegerisch sind. Doch es gibt heute immer mehr Leute, die meinen, sie müssten im Namen ihrer Religion ihr Weltbild verwirklichen, und das mit einer Brutalität, die beängstigend ist.

Kurienkardinal Kurt Koch, der ehemalige Bischof von Basel, meinte, ihm bereite die Gleichgültigkeit der Christen und die Schwäche des Christentums Sorge.
In seiner Einschätzung hat Herr Koch nicht unrecht. Oft sagen mir Leute, die Religion spreche sie einfach nicht mehr an. Wenn es ihnen dann aber nicht mehr gut geht, reden sie plötzlich anders. Es handelt sich hier wohl um eine typische Wohlstandskrankheit. Ich glaube nicht an eine absolute Entwurzelung vom Christentum. Aber wir erleben sicher eine mangelnde Pflege unseres Glaubens. Ich bin ja noch in Hilfswerken tätig, und da erlebe ich auch das andere. Es gibt noch viel Solidarität und auch Nächstenliebe. Aber das läuft halt nicht über die Kirche. Die Bibel selber lehrt uns ja mit dem Beispiel von Nikodemus, dass man nicht unbedingt in der vordersten Kirchenbank sitzen muss, um ein guter Christ zu sein.

Ist die Schweiz überhaupt noch ein christliches Land?
Das glaube ich schon. Sagt den Leuten «einisch», wir wollten in unserm Land das Christentum abschaffen. Dann sehen Sie, was das auslöst! Ich war 1994 Präsident der Kommission für eine neue Berner Kantonsverfassung. Der Kanton Bern kannte nie eine Präambel «Im Namen Gottes» wie die Bundesverfassung. Man wollte an dem republikanischen Ansatz festhalten und verzichtete auf eine solche Präambel. Ich war damals anderer Meinung. Später war ich auch Präsident der Kommission, die sich mit der Präambel in der Bundesverfassung befasste. Damals haben wir uns für die heutige, sehr schöne Präambel entschieden. Wir bekennen uns auch heute eindeutig zu unsern christlichen Wurzeln.
Als Sie 2005 Bundespräsident wurden, hiess Ihr Motto «Begegnung». Welches war die wichtigste Begegnung Ihres Lebens?
Bestimmt die Begegnung mit meiner Frau, aber das war vor 45 Jahren, als ich noch nicht Bundespräsident war! Gerade als Bundespräsident waren mir Begegnungen mit Leuten wichtig, die nicht «gäng» in der Zeitung sind und von denen man weniger spricht. Mein Ziel war es, jeden Kanton mindestens einmal zu besuchen, und zwar unangemeldet.
Mein erster Besuch am Neujahr galt der Gassenküche der Heilsarmee und der Feuerwehr in Genf. Später war ich in einem Blindenheim in Zug, in einem Spital und in einem Gefängnis. Da gab es viele gute, eindrückliche Begegnungen. Es gibt sehr viele Leute, die schwierigste Aufgaben mit Ausdauer und Engagement erfüllen. Ohne sie würde unsere Gesellschaft kaum funktionieren. Man müsste mehr von diesen Leuten reden als von all den Schreiern, die immer auf der vordersten Seite der Zeitung stehen wollen.



Die Schweiz und ihre nationalen Feiertage
Im 19. Jahrhundert suchte der neue Bundesstaat Schweiz nach nationalen Symbolen, welche die Einheit ausdrückten. Der 1. August, Nationalfeiertag der Schweiz, gedenkt des Bundesbriefes. Seit 1891 wird er gesamtschweizerisch gefeiert. Der 1. August als Datum des Rütlischwurs ist historisch nicht belegt. Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag ist ein staatlich konfessionell übergeordneter Feiertag. Seit dem Mittelalter ordneten die Regierungen Busstage für die Bevölkerung an. Seine besondere Bedeutung erhielt der Feiertag 1848 durch die Staatsgründung der Eidgenossenschaft. Der Tag sollte die Einheit zementieren, indem Reformierte und Katholiken zusammen beteten.

Andrea Vonlanthen, idea

Unsere Empfehlungen

Weihnachtszeit, Wichtelzeit

Weihnachtszeit, Wichtelzeit

Christkind und Samichlaus haben Konkurrenz bekommen: Wichtel Finn schlägt für die Migros die Werbetrommel. Doch warum erobert ein ursprünglich skandinavischer Troll die Herzen der Schweizer?
Gemeinsam beten – zu intim?

Gemeinsam beten – zu intim?

Beten ist für viele fast so intim wie das, was im Schlafzimmer passiert, schreibt Pfarrerin Anna Näf in ihrem Gastbeitrag. Warum das Gebet einen geschützten Rahmen braucht – und wieso selbst sie als Pfarrerin manchmal Gebetshemmungen hat.