«Den Fachkräftemangel unterschätzen die meisten Unternehmen»
Herr Vogt, welche guten Gründe gibt es, die für ältere Arbeitnehmende sprechen?
Aus meiner Sicht gibt es zwei Hauptgründe. Erstens ist Arbeit auch für ältere Mitarbeitende wichtig, nicht nur der finanzielle Teil der Arbeit, sondern auch als ein prägender Teil des Lebensinhaltes. Zweitens machen die älteren Mitarbeitenden einen zahlenmässig grossen und wichtigen Teil der Erwerbstätigen in der Schweiz aus.
Trotzdem scheiden immer mehr Menschen über 50 aus dem Arbeitsmarkt aus. Um zu sparen, stellt man billigere, junge Arbeitskräfte ein, während die älteren Ausgesteuerten auf dem Sozialamt landen.
Im Einzelfall ist so etwas immer eine Tragödie. Jedes Einzelschicksal ist eines zu viel. Auch wenn Einzelschicksale berühren, darf man die Gesamtsicht nicht verlieren. Was Sie schildern, sind Einzelfälle. Die Arbeitslosenquote ist bei den über 55-Jährigen niedriger als bei den jüngeren Arbeitnehmenden. Die Chance, dass jemand mit über 50 arbeitslos wird, ist also deutlich geringer als bei den unter 50-Jährigen.
Ausgesteuerte und Frühpensionierte erscheinen nicht in der Arbeitslosenstatistik.
Das stimmt. Aber die Fälle von Zwangspensionierungen sind in der Minderheit. Viele möchten nicht mehr arbeiten und die Zeit anders nutzen. Sie beschliessen in Absprache mit dem Arbeitgeber, sich pensionieren zu lassen. Das sind circa ein Drittel der Erwerbstätigen, zwei Drittel arbeiten bis zum ordentlichen Pensionierungsalter, davon die Hälfte sogar noch länger. Es kommt auch auf das Gewerbe an. In der Baubranche können nicht mehr alle Sechzigjährigen aufs Dach steigen. In diesen Branchen gibt es Branchenlösungen für Frühpensionierungen.
Oft hören ältere Arbeitnehmende, sie seien zu teuer.
Am Anfang zahlt der Arbeitgeber 7 Prozent in das BVG eines Arbeitnehmenden ein. Kurz vor dessen Pensionierung sind es 18 Prozent. Das sind keine optimalen Rahmenbedingungen. Viele Unternehmen brauchen die höheren Kosten als Ausrede. Man könnte diese Rahmenbedingungen und die gesetzlichen Grundlagen verbessern, sodass Erwerbstätige über das ganze Erwerbsleben die gleich hohen BVG-Prämiensätze zahlen.
Für Arbeitslose über 50 ist es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, wieder eine Stelle zu finden. Trotzdem wollen die Wirtschaftsverbände das AHV-Alter noch weiter hinausschieben.
Wer sagt, das Problem mit der Altersvorsorge könne gelöst werden, wenn alle bis 68 arbeiten, ist nicht ehrlich. Die Voraussetzungen sind heute und in absehbarer Zukunft noch nicht gegeben. Und wer behauptet, dass mit der AHV finanziell alles in Ordnung sei, ist ebenfalls nicht ehrlich. Natürlich können Sie keinem 62-Jährigen sagen, dass er jetzt bis 67 arbeiten muss. Aber ein 40-Jähriger kann sich darauf einstellen. Darum müssen wir die Veränderungen heute angehen, dann sind sie auch sozialverträglich. Die Revision der Altersvorsorge ist ein Generationenprojekt. Das Rentenalter von Männern und Frauen sollte ab 2022 mit einer Übergangslösung angeglichen sein. Wenn die AHV finanziell aus dem Ruder läuft, was abzusehen ist, muss man das Rentenalter in Monatsschritten anpassen, sodass es ungefähr im Jahr 2035 bei 67 wäre.
Die Altersarbeitslosigkeit dürfte angesichts der demografischen Entwicklung noch zunehmen.
Im Gegenteil. Das Thema Arbeitslosigkeit wird sich angesichts der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren deutlich entschärfen. Zurzeit gibt es in der Schweiz 4,9 Millionen Erwerbstätige. Davon werden in den nächsten zehn Jahren eine Million aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, weil sie pensioniert werden. Der letzte geburtenstarke Jahrgang ist 1964. Danach hat die Geburtenrate drastisch abgenommen. Der daraus entstehende Fachkräftemangel ist die grosse Herausforderung, die die meisten Unternehmen noch unterschätzen. Wir versuchen, die Unternehmer darauf zu sensibilisieren.
Welche Ziele verfolgt die Initiative «Plattform Arbeitsmarkt 45plus» des Arbeitgeberverbandes?
Das Wichtigste ist, Arbeitslosigkeit bei über 45-Jährigen zu verhindern. Und es muss auch noch mehr gelingen, für Leute, die temporär aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, wieder eine Stelle zu finden. Dazu müssen alle Beteiligten, Arbeitnehmende, Unternehmen, Verbände, Arbeitsmarkt-, Sozialversicherungs- und Bildungsbehörden, ihren Beitrag leisten. Wir können den Unternehmen nichts vorschreiben, aber wir können Beispiele für mögliche Lösungen aufzeigen.
Interview: Karin Müller
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