«Der Schweizerpsalm gehört ins Kirchengesangbuch»
Sie sei eine «Kreuzung aus Kirchenlied und Wetterbericht» die Schweizer Nationalhymne. Zumindest beschreibt sie so der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung Wolfgang Koydl. Nicht ganz zu unrecht. Neben den vier meteorologischen Strophenmotiven «Morgenrot«, «Abendglühn» «Nebelflor» und «wilder Sturm» wird im Liedtext viel gebetet und «Gott, der Herr» als «Hocherhabener, Herrlicher» und «allmächtig Waltender» besungen.
«Der Text war Mitte des 19. Jahrhundert sicher anders verankert als heute», sagt Lukas Niederberger, Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, SGG. «Die heutige Hymne ist eigentlich ein Gebet. In unserer multikulturellen Gesellschaft und einem religiös neutralem Staat wird dies von manchen als religiöse Vereinnahmung empfunden.» Auch das Gottesbild sei damals ein anderes gewesen: Gott erscheint als selbstverständlich männlicher, allmächtiger Vater.
Vorschlag auf Ende Jahr
Aus diesem Grund hat die SGG, die unter anderem auch so urschweizerisches Kulturgut wie die Rütliwiese verwaltet, einen Wettbewerb lanciert. Künstler sollen bis Ende Juni 2014 eine neue Hymne komponieren und dichten. Anschliessend wird eine Jury, darunter Schriftsteller, Musiker und Politiker, die Vorschläge beurteilen. Spätestens Ende Jahr sollen zehn Titel öffentlich vorgestellt und ein «Siegersong» gekürt werden, welcher der Regierung als neue Hymne vorgeschlagen wird.
Während die Melodie ruhig nah am Original bleiben darf, wünscht sich die SGG für den Text eine breitere und integrierendere Grundlage als in der bisherigen Version. Die neue Hymne solle sich deshalb an der Präambel der Bundesverfassung orientieren, erklärt Niederberger. «Wir haben damit bereits einen sehr guten Text der würdevoll Werte wie Solidarität, Freiheit, Demokratie, Einheit in der Vielfalt und Bewahrung der Schöpfung nennt. Im Präambeltext können sich alle Schweizerinnen und Schweizer wiederfinden anders als in den Worten der aktuellen Nationalhymne», so Niederberger.
Ganz ohne Gottes Segen kommt aber auch die heutige Politik nicht aus. Gleich zu Beginn der Präambel von 1999 heisst es «Im Namen Gottes des Allmächtigen». Also doch wieder Religion in der Hymne? «Wir lassen den Autoren hier künstlerische Freiheit», sagt Lukas Niederberger, katholischer Theologe und ehemaliger Redaktor des kantonalen Pfarreiblatts Luzern. «Für mich ist viel wichtiger, dass Begriffe wie Frieden und Solidarität vorkommen und unsere christlich-abendländische Tradition durch entsprechende Werte fortgeführt wird. Ob Gott dann noch explizit genannt wird, spielt für mich eine untergeordnete Rolle.»
Vom Kirchenlied zur Hymne
Das war zur Entstehungszeit des «Schweizerpsalms» noch anders. Dieser war auch nie als Nationalhymne konzipiert worden sondern eher als Kirchenlied. 1841 vertonte der Urner Priester und Komponist Alberik Zwyssig einen patriotischen Text des Zürchers Leonard Widmer. Die Melodie übernahm er von seinem 1835 komponierten Messgesang «Diligam te Domine» (Ich will Dich lieben, Herr), den er für eine Pfarrinstallationsfeier geschrieben hatte. 1843 erschien das neue Vaterlandslied in einem Festheft der Zürcher Studentenverbindung «Zofinger». Im gleichen Jahr wurde es am Eidgenössischen Sängerfest vorgetragen und verankerte sich bald im Repertoire zahlreicher Männerchöre.
Die zahlreichen Vorstösse zwischen 1894 und 1953 den «Schweizerpsalm» zur offiziellen Nationalhymne zu machen, lehnte der Bundesrat jedoch ab. Ganz schweizerisch demokratisch sollte eine Hymne nicht durch behördliches Dekret, sondern vom Volk durch den regelmässigen Gesang frei gewählt werden. Und so diente bis 1961 dann auch das Lied «Rufst Du mein Vaterland» als Repräsentationsgesang bei öffentlichen Anlässen. Da es aber zur Melodie von «God save the King (Queen)» gesungen wurde, führte das im 20. Jahrhundert, als die internationalen Kontakte stark zunahmen, mitunter zu kuriosen Verwechslungen. 1961 schlug dann der Bundesrat den «Schweizerpsalm» als unverwechselbare Schöpfung als Nationalhymne vor. Offiziell dazu erklärt wurde das Lied, nach langer Probezeit, erst 1981.
Grosses Interesse im Ausland
In Leserbriefspalten und Onlinekommentaren wird das Für und Wider einer neuen Hymne derzeit ausgiebig diskutiert. Sogar im Ausland berichten Medien wie die «New York Times», der «Guardian» oder «Spiegel online» fasziniert von der basisdemokratischen Liedsuche. Normalerweise werden neue Hymnen vor allem nach politischen Umstürzen «von oben» verordnet. Neben jenen, die sich eine Modernisierung wünschen, plädieren auch viele Schweizer für die Beibehaltung der jetzigen Hymne. Positiv sei der Text, weil er anders als in vielen Nationalhymnen keine Gewalt und Waffenliebe propagiere, sondern die Liebe zu Gott, Heimat und Vaterland.
«Die Zeit für eine neue Hymne ist reif«, findet dagegen Lukas Niederberger. «Der Schweizerpsalm gehört ins Kirchengesangbuch und kann dort weiter bestehen.» Dort steht der Psalm übrigens schon: Unter der Rubrik «Gottesdienste im Jahreskreis» ist er unter der Nummer 519 bereits zu finden.
Schweizerpsalm
Trittst im Morgenrot daher,
Seh ich dich im Strahlenmeer,
Dich, du Hocherhabener,
Herrlicher!
Wenn der Alpenfirn sich rötet,
Betet, freie Schweizer, betet!
Eure fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren
Vaterland.
Kommst im Abendglühn daher,
Find ich dich im Sternenheer,
Dich, du Menschenfreundlicher,
Liebender!
In des Himmels lichten Räumen
Kann ich froh und selig träumen!
Denn die fromme Seele ahnt,
Denn die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren
Vaterland.
Ziehst im Nebelflor daher,
Such ich dich im Wolkenmeer,
Dich, du Unergründlicher,
Ewiger!
Aus dem grauen Luftgebilde
Tritt die Sonne klar und milde,
Und die fromme Seele ahnt
Und die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren
Vaterland.
Fährst im wilden Sturm daher,
Bist du selbst uns Hort und Wehr,
Du, allmächtig Waltender,
Rettender!
In Gewitternacht und Grauen
Lasst uns kindlich ihm vertrauen!
Ja, die fromme Seele ahnt,
Ja, die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.
Annette Meyer zu Bargholz
Verwandte Artikel:
27.02.2014: Leserbriefe
«Der Schweizerpsalm gehört ins Kirchengesangbuch»