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«Wir brauchen ein Fundament von Werten»

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01.01.2016
Am letzten Wochenende wurde die deutsche Bundeskanzlerin mit einem Glanzresultat gewählt. Für die nächsten vier Jahre wird sie die Geschicke von Deutschland und Europa lenken. Doch was denkt Angela Merkel über Kirche, Asylpolitik und ihre «Enkel»?

In Ihren Ferien in Südtirol haben Sie ein Buch von Papst Franziskus gelesen. Wie kam es dazu?
Seit seinem Amtsantritt beeindruckt mich Papst Franziskus mit seiner Botschaft und seiner Art. Bei der Privataudienz im Mai habe ich ihn als einen vielseitig interessierten, sehr gut informierten Mann kennengelernt, als einen Geistlichen, der sehr den Menschen und ihren Sorgen zugewandt ist. Das Gespräch mit ihm hat mich neugierig gemacht. Ich wollte mehr über den neuen Papst erfahren, und deshalb habe ich das Buch gelesen.

Die erste Reise des Papstes führte ihn nach Lampedusa, wo er Europa zu mehr Hilfe für die Bootsflüchtlinge aufrief. Ist die Kritik berechtigt und die Asylpraxis zu restriktiv?
Die Worte und die Gesten des Papstes auf Lampedusa waren sehr berührend angesichts der Dramen, die sich leider immer wieder auf dem Meer vor dieser Insel abspielen. In Deutschland gilt für das Asylrecht der ebenso einfache wie klare Satz unseres Grundgesetzes: «Politisch Verfolgte genies­sen Asylrecht.» Dieser Satz ist ein klares Bekenntnis.

Besonders Christen geraten gerade in Syrien und Ägypten unter Druck. Kümmert sich Deutschland darum?
Das Recht, seine Religion frei und ungehindert auszuüben, ist ein elementares Menschenrecht, das für alle Glaubensgemeinschaften gelten muss. Wir können nicht einfach hinnehmen, wenn es missachtet wird ganz gleich, wo das passiert. Und deshalb haben wir bereits mehrfach an die ägyptische Regierung appelliert, alles zu tun, um ihre koptischen Landsleute zu schützen.

Es gibt eine dramatische Entkirchlichung der Gesellschaft. Was muss die Politik tun?
Nach unserem Staatsverständnis sind Politik und Kirche getrennt das hat gute Gründe. Ich möchte die Kirchen dennoch ermutigen, lebendig zu sein, auf die Menschen zuzugehen, um sie für das Christentum zu öffnen. Denn jede Gesellschaft ist auf ein Fundament grundlegender Werte und Normen angewiesen, das sich bei uns ganz wesentlich aus christlichen Wurzeln speist. Nicht zufällig beginnt der erste Satz unserer Grundgesetz-Präambel mit den Worten: «Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen».
Die Aufgabe des Staates ist es zunächst, vernünftige Rahmenbedingungen für ein freies, politisch unabhängiges kirchliches Leben und Wirken zu sichern. Ich denke, die Politik trägt auch Mitverantwortung dafür, dass uns allen bewusst bleibt, wie wichtig unsere gemeinsamen Werte und Normen für unser Zusammenleben sind.

2017 jährt sich der Beginn der Reformation zum 500. Mal. Welches Anliegen verbinden Sie mit dem Ereignis?
Ich habe gesagt, dass ich mir erhoffe, dass etwas vom Geist der Reformation wieder zum Menschen gelangt besonders zu denen, die von diesem Geist noch nie oder schon lange nichts mehr gehört haben. Wichtig ist mir, dass wir der Tragweite des Reformationsjubiläums gerecht werden.
Die Reformation ist eines der zentralen Ereignisse der deutschen Geschichte. Und sie hatte, was ihre religiösen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Auswirkungen angeht, weltgeschichtliche Bedeutung. Die Reformation hat die Entwicklung eines Menschenbildes gefördert, das massgeblich von einem neuen christlichen Freiheitsbegriff beeinflusst ist.

Sie sind sozusagen Grossmutter eines Enkelkindes ihres Mannes. Was sind da Ihre besonderen Freuden als Oma? Und was möchten Sie dem Nachwuchs am liebsten mit auf den Lebensweg geben?
Mein Mann hat sogar zwei Enkel. Und wir beobachten gespannt, wie sie die Welt entdecken, und sind immer wieder neugierig, was in ihren Köpfen vor sich geht. Ich wünsche ihnen, dass es ihnen gelingt, ihre Talente zu entfalten und so etwas aus sich und ihrem Leben zu machen.

Christoph Scholz | Volker Resing | kipa-de

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