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«Wir entdeckten die Nähe neu»

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21.09.2020
Statt ans Meer auf die Veranda – während der vergangenen Pandemie-Monate erkannte Paul Gruber in der Nähe eine neue Qualität. Doch manchmal macht ihn das Virus hässig.

Es war nochmals ein herrlicher Tag in Damüls: zehn Zentimeter Neuschnee, Sonne und kaum jemand auf der Piste. Dann der Lockdown: Die Skigebiete machten dicht, die Grenzen zu, keine Veranstaltungen mehr, nur noch die wichtigen Läden offen. «Es war ein Schock», sagt Paul Gruber. Plakate, die für anstehende Events schon gedruckt waren, wanderten direkt ins Altpapier. Laufende Kampagnen wurden gestoppt, solche in Vorbereitung auf Sparflamme gesetzt. «‹Was passiert jetzt?› haben wir uns gefragt.» Da ist die Projekt- und Kommunikationsagentur, in der der 57-Jährige leitend tätig ist, da sind neun Mitarbeitende, da sind die Kunden, da sind Kinder, Eltern, Freunde. «Gibt es uns und unsere Firma noch in ein paar Monaten? Bleiben wir gesund? Was wäre, wenn wir oder unsere Liebsten krank würden?», waren die drängendsten Fragen.

Täglicher Spaziergang
Sechs Monate später sitzt Paul Gruber im Garten der Agentur, fast zuoberst auf dem St.Galler Rosenberg, blickt in die alten Bäume und erzählt. Seine Frisur ist etwas durcheinandergeraten, der Blick schelmisch. «Die grosse Unsicherheit der ersten Wochen des Lockdowns wog schwer. Aber da waren auch die schönen Seiten dieser besonderen Zeit.» Der 19-jährige Sohn bearbeitete aus seinem Zimmer Schadenfälle für seinen Arbeitgeber, die 16-jährige Tochter ging virtuell zum Unterricht und seine Frau, Schulsozialarbeiterin in Gossau, beriet und begleitete am Telefon und am Bildschirm Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Jeden Abend machten sie sich dann auf einen Spaziergang – rund um die Weieren oder hinauf zum Freudenberg. «Wir entdeckten die Nähe neu.» Auch die eigene Veranda. «Merkten, dass diese schöner ist als manch Strand, den wir in den vergangenen Jahren gesehen hatten.» Eine solche Aussage heisst etwas für den ehemaligen Snow- und Skateboardprofi, der jedes Jahr einmal das Meer sehen musste – stets auf der Suche nach der perfekten Welle.

«Virus macht hässig»
Die Agentur gibt es noch. Umsatzeinbussen galt es, zu verkraften. Entsprechend waren Löhne und Kosten anzupassen. «Bis jetzt sind wir mit einem blauen Auge davongekommen», sagt Paul Gruber. Verschiedene Projekte waren zwar nicht mehr möglich, doch neue kamen dazu. Die besonderen Zeiten hätten einige Kunden inspiriert.

Trotzdem – «es gibt immer wieder Tage, da macht mich das Virus hässig». Etwa wenn er sehe, wie seine Eltern sich nach wie vor abkapselten oder Kollegen aus der Kultur- und der Eventbranche vor dem Nichts stünden, wenn man nicht recht planen könne. Dann braucht Paul Gruber das, was er in den letzten Monaten lieb gewonnen hat – einen Spaziergang der Nähe nach, lange Gespräche am Familientisch oder eine Portion Abendsonne auf der Veranda. 

 

Text: Andreas Ackermann | Foto: Maurus Hofer  – Kirchenbote SG, Oktober 2020

 

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