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Arbeitslos 50plus

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01.01.2016
Der Verlust der Stelle trifft vor allem ältere Arbeitslose besonders hart. Die Suche nach einem neuen Job ist schwierig und lang.

Wenn Urs Spengler seine Bewerbungsunterlagen verschickt, setzt er seine Altersangabe auf die zweite Seite. Ganz unten auf dem Blatt steht sein Jahrgang 1962. «Die Personalbüros sollen zuerst all meine Qualifikationen lesen, bevor sie auf mein Alter stossen», erklärt der Arbeitslose. Seit rund eineinhalb Jahren sucht Urs Spengler eine Stelle. Zweihundert Bewerbungen hat er verschickt. Fünfmal stellte er sich vor und musste sich anhören, dass er überqualifiziert sei. Urs Spengler übersetzt dies mit «zu alt und zu teuer». Nur zweimal sprach man ihn im Vorstellungsgespräch ehrlich auf sein Alter an. Tröstliche Allgemeinplätze wie «wenn eine Tür zugeht, tut sich eine andere auf» mag der 52-Jährige nicht mehr hören.
Er hätte nie gedacht, dass es so schwer ist, eine Stelle zu finden, erklärt der ehemalige Leiter einer Postfiliale im Kanton Schaffhausen. Urs Spengler kündigte, da er die Veränderungen im Postbetrieb nicht länger aushielt. 25 Jahre lang lebte er für seine Kunden, die gerne zu ihm an den Schalter kamen. Doch in den letzten Jahren verwandelten sich die Poststellen in Shops, die von Handys, Büchern bis zu Versicherungen alles verkaufen. Die Vorgaben wurden ständig hochgeschraubt. Urs Spengler litt unter dem Druck. «Ich konnte meine Kunden doch nicht zwingen, die Produkte zu kaufen», erklärt er hilflos. Als er nach 25 Jahren den Schlüssel der Filiale abgab, fühlte er sich erleichtert. «Es war eine riesige Erlösung», erklärt Urs Spengler. Im Rückblick rät er jedem, der sich zu diesem Schritt gezwungen fühlt, durchzubeissen, bis er eine neue Stelle hat. Für ältere Arbeitslose stehen die Chancen schlecht.

Ältere riskieren lange Arbeitslosigkeit
So wie dem ehemaligen Filialleiter geht es heute vielen älteren Arbeitslosen. Während jüngere durchschnittlich 13 Wochen brauchten, um eine neue Anstellung zu finden, dauere dies bei den 50-Jährigen knapp neun Monate, erklärte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco, im Herbst gegenüber den Medien. Viele fänden auch nach dieser Zeit keine Stelle. Augenfällig ist, dass die Zahl der Arbeitslosen in der Altersgruppe ab 50 stark gestiegen ist.
Dies bestätigen auch Untersuchungen der OECD. Im Vergleich mit den 34 OECD-Staaten haben die über 55-Jährigen in der Schweiz oft einen Arbeitsplatz. Trotzdem besteht kein Grund zur Freude: Gemäss OECD haben es ältere Arbeitskräfte in der Schweiz schwer, wieder einen Job zu finden. Fast 60 Prozent stehen ein Jahr nach Stellenverlust ohne Job da. Vor zehn Jahren betrug diese Quote 40 Prozent. Für Ex-Preisüberwacher und alt Nationalrat Rudolf Strahm ist es in dieser Situation umso stossender, dass der Fachkräftemangel zunehmend Vorwand sei, um jüngere, billigere Fachpersonen aus dem Ausland anzustellen. Im «Tagesanzeiger» spricht er von «einem stillen Drama, das sich bei den Arbeitnehmenden über 50 Jahre abspiele». «Wenn diese im Zuge der Reorganisation, einer konjunkturellen oder saisonalen Schwankung ihren Job verlieren, haben sie kaum mehr Chancen auf eine feste Anstellung.» Das treffe auch bestqualifizierte, hoch gebildete Fachkräfte, Ingenieure, Betriebswissenschafter, Kaderleute und Manager. Strahm schätzt, dass in den letzten fünf Jahren rund 50'000 Beschäftigte über 50 ausgesteuert worden sind.
Das Damoklesschwert der drohenden Arbeitslosigkeit verunsichert auch die Angestellten. Es mache ihm schon zu schaffen, bald noch der Einzige in seiner Abteilung zu sein, der übrig bleibe, erklärt ein Kadermitglied aus dem Kanton Schwyz. Ihm falle jede Weihnachten ein Stein vom Herzen, wenn er in diesem Jahr keine Vorladung vom Personalbüro erhalten habe.

Chancengleichheit für die Älteren
Inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Arbeitslosigkeit der über 50-Jährigen zum Problem wird. Angesichts des starken Frankens forderte die SP kürzlich einen Kündigungsschutz für Ältere. 2013 lancierte der Arbeitgeberverband die Plattform «Arbeitsmarkt 45 Plus», die sich an Unternehmen, Verbände und Behörden richtet. Ziel ist es, Anreize und Projekte zu schaffen, um die Beschäftigung älterer Angestellter und ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern.
In die gleiche Richtung zielt das Projekt «Chancengleichheit», welches das Hilfswerk der evangelischen Kirchen der Schweiz Heks und der Arbeitgeberverband vor zwei Jahren starteten. Auch Heks stellt fest, dass die Altersguillotine, neben schlechter Ausbildung und Migrationshintergrund, zur Diskriminierung führt. Konkret schafft Heks mit Firmen Möglichkeiten, dass die Betroffenen wieder eine Beschäftigung finden.
Der Heks-Direktor Ueli Locher ist beeindruckt, mit welchem Engagement die angefragten Unternehmen die Massnahmen zur Chancengleichheit umsetzten. «Der Wille, gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen, ist spürbar», meint Locher. Heks ist überzeugt, dass sich diese Personalpolitik wirtschaftlich auszahlt, da die Mitarbeitenden optimal eingesetzt würden und die Motivation hoch sei.

Zuversichtlich, eine neue Stelle zu finden
Die monatelange Arbeitslosigkeit setzt Urs Spengler zu. Die Unsicherheit, nichts zu finden und nicht für seine Frau und sein Kind sorgen zu können, bereitet ihm Angst. Seine Frau konnte ihre Stelle als Kindergärtnerin aufstocken. «Das ist ein grosses Glück», sagt er. Er selbst hat jetzt viel Zeit für den zehnjährigen Sohn. «Aber zum Hausmann bin ich nicht geeignet», lautet sein Fazit.
In sieben Monaten wird Urs Spengler ausgesteuert. Was dann kommt, mag er sich nicht vorstellen.
Inzwischen hat Urs Spengler einen Job im Stundenlohn im Parkhaus des Zürcher Flughafens gefunden. Er ist zuversichtlich, eine feste Anstellung zu finden, sei es in der Disposition, Logistik, im Verwaltungsbereich oder anderswo. Urs Spengler ist nicht wählerisch. Er kennt seine Qualifikationen. Schliesslich habe er diese während 25 Jahren bei der Post tagtäglich bewiesen.

Tilmann Zuber

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