Auch mit 87 Jahren nicht genug
«Man muss den Leuten sagen, dass in Afghanistan nicht nur Taliban leben, sondern ganz normale Menschen, die unsere Hilfe brauchen», sagt Vreni Frauenfelder. Sie selber hat ihr Herz an das Land verloren, als sie vor 1975 per Zufall dort gelandet ist. Sie sass am Fuss der mächtigen Buddhastatuen in der Provinz Bamiyan, die später von den Taliban gesprengt worden sind, als ein Mann schnurstracks auf sie zukam. «Er sagte kein Wort und streckte mir eine Rose entgegen», lächelt Vreni Frauenfelder und ihre himmelblau klaren Augen strahlen unterm schlohweissen Haar, «ein Willkommen in diesem Land.»
Längst spricht sie fliessend persisch. Und die Afghanistan-Besuche sind für sie jedes Mal wie ein Heimkommen. Denn entgegen der Schreckensmeldungen in den Medien über Krieg, Terror und Talibanherrschaft findet sie dort in erster Linie zwar sehr arme, aber umso herzlichere, gastfreundliche Menschen, denen zu helfen ihr eine Pflicht ist.
«Da muss man was tun!»
Jedes Jahr kehrt Vreni Frauenfelder nach Afghanistan zurück. Auch nachdem 1979 die Sowjets einmarschiert und Hunderttausende von Afghanen nach Pakistan geflohen waren. Bischof Rudvin von der vereinigten christlichen Kirche in Pakistan hatte ihr geraten, im pakistanischen Grenzstädtchen Quetta in einem Spital Hilfe anzubieten. «Das Erste, was ich sah, war ein Junge auf einer Pritsche, dem sie bei vollem Bewusstsein ein Bein absägten. Er machte keinen Mucks.» Vreni Frauenfelder war schockiert. «Da muss man was tun!», war ihr auf der Stelle klar. Sie fragte den Spitaldirektor, was er brauche, nähte Matratzen fürs Spital, besorgte im nächsten Jahr einen Generator, im darauffolgenden organisierte sie Operationsgeräte.
In ihrem Häuschen voller afghanischer Erinnerungsstücke in Neuhausen zeigt Vreni Frauenfelder Fotos von ihren Reisen. Sie berichtet von Kidnappings durch die Taliban, Reisen unter der Burka, Begegnungen mit Minenopfern, hungernden und kranken Menschen, einer Hilfsgüterlieferung, die mit «Mad. Vreni» angeschrieben war, der Abkürzung für französisch Madame. Was ihr den englischen Übernamen «Mad Vreni» eintrug. Und ein bisschen verrückt ist sie ja schon, die furchtlos und zielstrebig immer noch regelmässig nach Afghanistan reist, um dort zu helfen.
Hilfe professionalisiert
1988 professionalisierte sie ihre bis dahin private Hilfe und gründete die Afghanistanhilfe Schaffhausen. Dutzende von Schulen, Spitälern, regionalen Gesundheitszentren und Waisenhäusern sind seither von der Afghanistanhilfe unterstützt worden, darunter auch das wichtigste Projekt zurzeit, das Shuhada Spital in Jaghori, das jährlich 3 7000 Patienten behandelt.
Zwischen 600 000 und 700 000 Franken sammelt der neunköpfige Vorstand unterdessen jährlich, womit er Projekte lokaler Partnerorganisationen finanziert, allen voran der afghanischen Hilfsorganisation Shuhada. Mit deren Gründerin Sima Samar, 57, Ärztin und einstige Ministerin für Frauenangelegenheiten unter Präsident Karzai, verbindet Vreni Frauenfelder eine enge Freundschaft.
Vreni Frauenfelder ist unterdessen Ehrenpräsidentin ihrer Hilfsorganisation, und unter dem Präsidenten Michael Kunz, 34, hat eine neue Generation die operative Leitung übernommen. «Ich bin froh, dass es weitergeht», sagt sie. Und dass die junge Generation sich auch um den Internetauftritt kümmere, wovon sie selber nichts verstehe. «Ohne geht es heute nicht mehr.»
Ihr grösster Wunsch? «Frieden für Afghanistan! Und dass wir noch viel mehr Mittel zur Verfügung hätten, um der notleidenden Bevölkerung in den Provinzen zu helfen.»
Zum Bild: Vreni Frauenfelder in Afghanistan: «Mein grösster Wunsch ist Frieden für dieses Land. Und dass wir noch viel mehr Mittel zur Verfügung hätten, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen.» | zvg
Daniela Schwegler
Links:
www.afghanistanhilfe.org
Auch mit 87 Jahren nicht genug