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Das grösste Geschenk ist gratis

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01.01.2016
Eine christliche Buchhandlung hat in ihrer Auslage weisse Stofftaschen hängen, die sind mit schwarzen Buchstaben bedruckt: Was NICHTS kostet ist NICHTS wert. Ich überlege beim Entziffern des etwas verschnörkelten Aufdrucks, dass die Taschen ausplaudern, warum Glaube, Kirche und der liebe Gott in einer Baisse stecken.

Gratis­angebote sind verdächtig, alle, die sich nicht erwischen lassen wollen, reagieren ablehnend, misstrauisch, vermuten Schund. Und da es heute darauf ankommt, schlau zu sein, noch lieber durchtrieben und ganz sicher nicht blööööd, hat man mit Religion nichts am Hut. Oder wenn, dann mit einer exotischeren als der geerbten.
Ich habe das Weihnachtsgesumse in der Stadt gern. Den Duft der Backwaren, die Kerzen, die beleuchteten Schaufensterauslagen, die viel­farbigen Bändel, die Posaunen der Heilsarmee, die Leute, die sich mit Taschen durch die Innenstadt schieben, die Buben vor den Modelleisen­bahnen, die Mädchen, die überall Pink sehen, die Trommeln, die ­lieber schon Fasnacht hätten, die Weihnachtsmusik, die kitschige und die klassische, die klingelnden Trams, die sich verspäten, die Tannenzweige, die Mädchen, die Spielzeugeisenbahnen bestaunen, die Marronibrater, die feuerroten Weihnachtsmänner, den Nieselregen. Ich kriege kalte Füsse und ein warmes Herz.
Jesus ist gratis. Weihnacht ist gratis. Ja, schon. Nur dass ich mich dafür ein bisschen anstrengen muss. Nein, nicht mit Bravsein. Auch nicht mit einer moralischen Anstrengung. Obwohl gegen sie nichts einzuwenden wäre. Nur muss man dazu nicht unbedingt christlich eingestellt sein, das geht auch anders. Die Anstrengung besteht vielmehr darin, nichts zu tun.
Wir sind so angefüllt bis oben auf. Mit Unsinn, mit wertvollem Gut, mit Aufgaben und Ausgaben, mit Verpflichtungen und Unterhaltungsstress. Individuell verschieden die Mischung, aber bei allen? Bei vielen! Zudeckend, lähmend, ermüdend. Sich davon frei zu machen, das ist, was es braucht.
Das ist nicht kostenpflichtig. Es ist einfach, nur nicht ganz leicht. Es braucht eine mystische Anstrengung, einen Hauch davon wenigstens. Genug Abstand. Ein bisschen Buddhismus vielleicht; für die gesagt, die es exotisch lieben. Weite. Ein Weihnachtslied kanns auch sein. Und wenn es mitten im Weihnachtsgesumse wäre. Nichts ist ausgeschlossen. «O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen.» Das ist eine Zeile meines liebsten Weihnachtsliedes.

Pfarrer Hans Adam Ritter

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