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Eine nüchterne, harte Geschichte

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01.01.2016
Zurzeit läuft das Weihnachtsgeschäft an. Helle Schaufenster präsentieren ihre prächtigen Auslagen und goldene Engel flattern durch die Kaufhäuser. Alt-Nationalrätin Judith Stamm begibt sich in der Adventszeit auf die Suche nach dem Kern der Weihnachtsgeschichte.

Im Hauptbahnhof Zürich wächst in der geräumigen Halle der Weihnachtsmarkt aus dem Boden. Als Glanzpunkt eine festlich geschmückte Riesentanne! In der Stadt kommen Schaufensterauslagen bereits mit Tannengrün, Gold und Silber daher. Und die Redaktorin des «Kirchenboten» bittet um Statements für die Weihnachtsnummer ihrer Zeitung. Selbstverständlich könnte auch ich so eine kurze Aussage beisteuern. Nur passt sie hinten und vorne nicht. Was ich gerne schreiben möchte, lautet nämlich wie folgt:
«Am absurdesten finde ich in der Weihnachtszeit immer die Fleisch-auslagen: Wurstwaren, Schinkli, Schüfeli, Zutaten zu Fondue Chinoise, alles dekoriert mit Tannzweigen und Engelshaar. Ich stehe vor den Schaufenstern, beschaue mir die Pracht, und ein grimmiges Lachen überkommt mich: «Wurst und Weihnachten», welche Kombination! Natürlich, die Lebensmittelbranche hat an Weihnachten ihre «hohe Zeit». Also denn, frohes Fest!
Was ist denn die «eigentliche Bedeutung» von Weihnachten, die offenbar hinter allen leuchtenden Bäumen und Schaufensterauslagen zu finden wäre, wenn wir nur hartnäckig genug suchen würden? Für mich ist die Weihnachtsgeschichte eine nüchterne, harte Geschichte, in der auch Grausames geschieht. Ich denke an die sehr junge Frau, Maria, die aus heiterem Himmel erfährt, dass sie schwanger werden wird. An ihren Verlobten Josef, der gut meinend war und sich nicht öffentlich, sondern im Stillen von ihr trennen wollte, um sie nicht zu kompromittieren. Ein Engel, der ihm im Traum erscheint, hält ihn davon ab, seinen Entschluss auszuführen. Ich denke an die beschwerliche Reise der jungen Schwangeren und ihres Begleiters von Nazareth nach Bethlehem, wo sie sich für die Volkszählung des Augustus eintragen lassen müssen. Ich denke an die notdürftige Unterkunft während der Geburt, da in den Gasthäusern kein Platz zu finden war. Ich denke an die nachfolgende Flucht mit dem kleinen Kind nach Ägypten. Gleichzeitig werden in Bethlehem, dem Geburtsort, und in der Umgebung, alle Knaben unter zwei Jahren auf Befehl des Herodes getötet. Er will einen allfälligen Nebenbuhler, der ihm von den Weisen angekündigt worden ist, rechtzeitig aus der Welt schaffen.
Es ist eine Geschichte des nicht Willkommenseins, des beschwerlichen Lebens, begleitet vom Tod Unbeteiligter. Kann uns diese Geschichte das Herz froh machen? Froh machen sicher nicht, aber vielleicht erhellen! Denn wann war diese Geschichte aktueller als heute? Wir müssen ihren Sinn nicht hinter Kleister, Zucker und Lichterketten suchen. Wir müssen nur unsere Augen etwas weiter öffnen, und über die Grenzen der wohlhabenden Länder, zu denen auch wir gehören, hinausschauen. Und wir erkennen, dass es da zu- und hergeht wie vor über mehr als 2000 Jahren in Judäa. Lebensgefahr, Flucht, keine Unterkunft, unwillkommen als Ankömmlinge an welchem Reiseziel auch immer!
Ob die viel besuchten Weihnachtsmärkte, die prächtigen Schaufensterauslagen, die strahlenden Lichterdekorationen eine einzige mächtige Anstrengung sind, uns vom eigentlichen Gehalt der Weihnachtsgeschichte abzulenken? Weil sie nüchtern und hart ist und auch vom grausamen Tötungsbefehl eines Machthabers der damaligen Welt handelt?
Weihnachten ist noch einige Wochen entfernt. Es bleibt genügend Zeit, über diese Frage nachzudenken!

Alt-Nationalrätin Judith Stamm, Luzern, auf seniorweb.ch

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27.11.2014: «Das Leben rühren wie einen Kuchenteig»
30.12.2014: Leserbriefe

Links:
www.seniorweb.ch

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