Klicks und Quoten: Der Kampf um Aufmerksamkeit
«Alle wollen guten Journalismus, und doch ist keiner bereit, dafür zu bezahlen», wies Matthias Zehnder, Chefredaktor der «Basellandschaftlichen Zeitung», auf das Paradox hin, vor welchem Journalisten heute stehen. Sie seien die Anbieter eines gefragten Gutes, und doch genössen sie in der Gesellschaft kaum mehr Vertrauen als der Berufsstand des Autohändlers.
Matthias Zehnder diskutierte im November an einem Podiumsgespräch in der Peterskirche in Basel mit Urs Leuthard, Redaktionsleiter der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens. Thema der Runde: Braucht Journalismus im Zeitalter von Aufmerksamkeitsknappheit und digitaler Reizüberflutung vermehrt ethische Werte? Martin Dürr, Co-Leiter des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft, moderierte das Gespräch.
Journalismus unter Druck
Nicht allein die öffentliche Meinung setzt den Tagesjournalismus unter Druck. Besonders im privaten Zeitungswesen würden die finanziellen und personalen Ressourcen und damit auch die Zeit immer knapper, so Zehnder. Doch der altbekannte Spruch «Zeit ist Geld» scheint so nicht mehr zu stimmen. Es gebe eine neue Währung, nach der sich die Medienlandschaft heute zu richten habe: Die Aufmerksamkeit des Publikums, sei es über Klicks oder Einschaltquoten.
«Unseren täglichen Skandal gib uns heute» so beschrieb Martin Dürr pointiert die Haltung der Medienkonsumenten. Wer mit einer Handbewegung Zugriff auf die aktuellsten Fakten rund um die Welt habe, bleibe nicht mehr bei ungefilterten Informationen hängen. Wer einer steten Reizüberflutung ausgesetzt sei, werde blind: Diesen Prozess nennen Fachleute «Desensibilisierung». Ein Phänomen, das sich Journalisten heute immer bewusster machen müssten. «Wir können heute nicht mehr auf dieselbe Weise eine Sendung gestalten wie noch vor zehn Jahren. Schon bevor unser Publikum den Fernseher einschaltet, ist es über die globalen Geschehnisse bereits informiert», erklärte Urs Leuthard das Dilemma, in dem nicht nur die «Tagesschau»-Redaktion seit dem «Aufstieg der Smartphones» stecke. Ein Dilemma, aus dem es nur einen Ausweg gebe: guten Journalismus.
Die «nackten Fakten» aufs Papier zu bringen, das reiche heute nicht mehr aus. Gerade in Krisenzeiten, in denen Situationen komplexer werden und Geschichten immer mehrere Gesichter haben, sei es die Aufgabe des Journalisten, diese Geschehnisse zu bündeln, betonten die beiden Medienleute. Analysen, Kommentare und Einbettungen von Daten in einen grösseren Kontext seien gefordert: Eine heikle und verantwortungsvolle Aufgabe. Verantwortung übernehmen, das heisse im Journalismus auch, sich der Konsequenzen und der Regeln der eigenen Berichterstattung bewusst zu sein.
Die Frage, ob sich Journalismus ethische Werte noch leisten kann, beantworteten Matthias Zehnder und Urs Leuthard deshalb übereinstimmend und klar: Er muss sie sich leisten, auch dann, wenn er es nicht kann.
Medienethik
Aus dem Alltag der Redaktion
Vertrauen und Glaubwürdigkeit: Was heisst es im Journalismus konkret, Verantwortung zu übernehmen? Zwei Beispiele aus den Redaktionen des Schweizer Fernsehens und der «Basellandschaftlichen Zeitung» geben einen Einblick in die täglich geführte medienethische Diskussion und ihre Folgen.
Aus der Redaktion der «Tagesschau»
Im August dieses Jahres veröffentlichte die Terrormiliz IS ein Video mit der Enthauptung des US-Journalisten James Foley. Um die Würde des Opfers zu wahren, entschied man sich beim Schweizer Fernsehen für ein Standbild, das den Mörder neben dem Entführten abbildete. Das Gesicht von James Foley war abgedeckt. Das Bild von Foley im orangen Guantanamo-Anzug wurde in wenigen Stunden zu einer grausigen Ikone, die in der Folge auch für die weiteren Taten der IS stand.
Aus der Redaktion der «Basellandschaftlichen Zeitung» bz:
Mitte November berichtete die bz über einen obdachlosen Mann, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit 15 Wochen Unterschlupf in einem unbenutzten Velounterstand in der Stadt Basel gefunden hatte. Dies mit behördlichem Wissen und Einverständnis. Trotzdem wiesen am Tag des Zeitungsberichts zwei SBB-Mitarbeiter den Mann aus seiner Behausung. «Da dieser Verweis möglicherweise Konsequenz unserer Berichterstattung war, informierten wir die zuständigen Stellen», erklärte Chefredaktor Matthias Zehnder.
Zum Bild: Journalismus und Werte: Pfarrer Martin Dürr im Gespräch mit Urs Leuthard (rechts) vom Schweizer Fernsehen und Matthias Zehnder (links) von der «Basellandschaftlichen Zeitung». | Vergeat
Delphine Conzelmann
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