Kontrolle ist gut, Vertrauen wäre besser
Kirchenbote: Herr Pfleiderer, Sie weisen im Fall «Carlo Conti» auf dessen politische Erfolge hin und plädieren, ihm aufgrund einer Verfehlung nicht gleich das ganze Vertrauen zu entziehen. Steckt dahinter das biblische Gleichnis, dass nur wer ohne Schuld ist, den ersten Stein werfen sollte?
Georg Pfleiderer: Ja, genau darauf zielt mein Plädoyer hin. In unserer Gesellschaft sind zwei Trends auszumachen. Einerseits eine zunehmende Reglementierung, die unter anderem auf einen Vertrauensverlust zurückzuführen ist, und zweitens ein Hang der Medien zu skandalisieren und Personen an den medialen Pranger zu stellen. Hier wohl, um im Kampf um Auflagenstärke und Einschaltquoten im Wettbewerb bestehen zu können. Das wirkt sich negativ auf öffentliche Führungspositionen aus, indem sich jemand gut überlegen muss, ob er/sie das Privatleben wegen eines öffentlichen Amtes so stark beeinträchtigt sehen möchte. Denn seien wir ehrlich: Wenn man intensiv sucht, findet sich bei jedem Menschen ein schwarzer Fleck.
Nun hat es aber Carlo Conti zweifelsohne mit seinen Nebenverdiensten nicht ganz genau genommen. Bei «kleinen Fischen» etwa kleinsten Unregelmässigkeiten in der Ladenkasse eines Detailhandelsgeschäfts wird gleich die Kündigung ausgesprochen. Gilt da nicht gleiches Recht?
Doch, das sollte gelten. Aber wenn Sie schon das Beispiel mit der Ladenkasse bringen, lässt sich daran gut aufzeigen, was ich mit den gesellschaftlichen Trends der Überwachung und des Vertrauensverlusts meine. Die Mitarbeitenden werden heute oft wie Fremde in der Firma behandelt. Sie werden wo immer möglich kontrolliert. Das fördert weder das Vertrauen, noch die innere Motivation, sich für den Betrieb einzusetzen. Natürlich sollte die Kasse stimmen. Ob aber einmal der Durst mit einer Cola aus dem Lagerbestand gelöscht wird, sollte keine Rolle spielen; es kann auch zeigen, dass die Mitarbeiter sich in ihrem Betrieb zu Hause fühlen und sich mit ihm identifizieren. Ebenso sollte bei einem Regierungsmitglied der Spielraum für Nebeneinkünfte im Geiste der Freiheit festgelegt sein.
Sie plädieren also entgegen dem Trend für mehr Freiheit und Vertrauen. Dies, obwohl sich gezeigt hat, dass in Politik und Wirtschaft die Selbstkontrolle versagt hat?
Ja, denn ich glaube, dass im Endeffekt der Vertrauensverlust und die Überwachung mehr zerstören, als uns mögliches Fehlverhalten kostet. Jemandem vertrauen und gewisse Freiheiten zugestehen, stärkt die innere Motivation, sich für etwas einzusetzen und sich damit zu identifizieren. Wo Vertrauen fehlt und durch Kontrolle ersetzt wird, da lassen Mitarbeitende den Griffel punktgenau um 17 Uhr fallen egal ob noch ein Vorgang am Laufen ist oder nicht. Protestantisches Arbeitsethos zeichnet sich demgegenüber gerade durch die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme aus. Verantwortung aber ist ein Kind, dessen Eltern Freiheit und Vertrauen heissen. Bei Fehlern sollte deshalb nicht gleich das ganze Vertrauen aufgekündigt, die Freiheit eingeschränkt und die Verantwortung entzogen werden dies ganz im Sinne des «ersten Steins» und einer nötigen Fehlerkultur. Oder profan und etwas salopp gesagt: Wer arbeitet macht Fehler, wer keine Fehler macht ...
Franz Osswald
Kontrolle ist gut, Vertrauen wäre besser