Land Grabbing der grüne Raubzug
Unser Fahrzeug fährt mit hoher Geschwindigkeit von der Ortschaft Mojo gegen Südwesten durch das äthiopische Hochland. Seit einiger Zeit fahren wir an einem neu errichteten Zaun entlang fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn Minuten. Der Zaun scheint endlos. Dahinter ist nicht viel zu sehen ausser einigen Bäumen und ein bisschen Gras. «Das ist eingezäuntes Land für ausländische Investoren», erklärt mein Begleiter.
Mein Blick gleitet über die unvorstellbar grosse Landfläche. Das war im Jahr 2007. Zwei Jahre später erklärt Esaya Kebede, Direktor der äthiopischen Agricultural Investment Agency, dass Äthiopien bereits drei Millionen Hektar Land ausgezont habe, um es an ausländische Investoren zu verpachten. Eine Fläche so gross wie Belgien. Gleichzeitig sind mindestens 6,2 Millionen Menschen in Äthiopien von Hunger und Mangelernährung betroffen und auf Lebensmittelhilfe angewiesen.
Äthiopien ist bei Weitem kein Einzelfall: Ähnliches geschieht im Sudan, in Sambia, Mosambik, Madagaskar, Laos, Kambodscha und vielen weiteren Staaten, in denen die Mangelernährung der Bevölkerung gravierende Ausmasse erreicht.
Kolonialismus mit juristischen Mitteln
Aufstrebende Wirtschaftsnationen wie China oder Indien und vor allem rund 1000 westliche Investment und HedgeFunds sowie Banken kaufen oder pachten Ackerland in den armen Ländern. Als «Land Grabbing» (Landraub) bezeichnete die internationale Nichtregierungsorganisation Genetic Resources Action International (GRAIN), eine Partnerorganisation von «Brot für alle», diese Vorgänge erstmals im Jahr 2008 und etablierte damit einen neuen Begriff.
Die Weltbank und viele Regierungen sprechen lieber vornehm von «landwirtschaftlichen Investitionen», denn diesen haftet kein neokolonialer Beigeschmack an.
Doch sogar Jacques Diouf, Direktor der UNO Ernährungs und Landwirtschaftsorganisation (FAO), warnte unlängst vor dem Neokolonialismus, der mit dieser Art von Landnahme verbunden sei. Die heutigen Vorgänge sind allerdings subtiler als zu Kolonialzeiten. Waren es früher Armeen, die Land annektierten, so sind es heute Juristen, die im Auftrag von Firmen und Regierungen komplizierte und undurchsichtige Übernahmeverträge abwickeln. Oft geschieht dies in einem quasilegalen Rahmen, häufig verbunden mit Korruption und unter Verletzung bestehender nationaler Gesetze.
Landdeals in Millionenhöhe
Die Weltbank beziffert die in Afrika, Lateinamerika und Asien seit dem Jahr 2006 verhandelten oder bereits verkauften und verpachteten Ackerflächen auf rund 50 Millionen Hektaren. Dies entspricht fast der Hälfte des gesamten chinesischen Ackerlandes. Laut Schätzungen der FAO aus dem Jahr 2009 belief sich der auf diese Weise abgewickelte Landausverkauf alleine in Afrika auf 20 Millionen Hektaren. «Wahrscheinlich liegen die Zahlen noch wesentlich höher», ist GRAIN überzeugt. Ein grosser Anteil des investierten Kapitals stammt aus Ländern des Südens wie China, Indien, Brasilien, Südafrika und aus dem Nahen Osten.
Krisen als treibende Kraft
Zurückzuführen ist die neue Gier nach Landressourcen auf die Krisen in der jüngsten Zeit: Die Explosion der Nahrungsmittelpreise im Jahr 2008 führte dazu, dass importabhängige Regierungen den Lebensmittelanbau im Ausland als neue Strategie zur nationalen Ernäh rungssicherung anzusehen. Staaten wie China, Indien oder Saudi Arabien realisierten, dass sie ihren steigenden Bedarf an Nahrungs- und Futtermitteln auf dem Weltmarkt nicht mehr abdecken können.
Mit der globalen Finanzkrise wurden bebaubare Flächen auch für die Finanzindustrie interessant. Investitions- und HedgeFunds sowie Banken bot das Geschäft mit dem Boden nach der Hypotheken- und Finanzkrise neue und sichere Anlagemöglichkeiten mit gutem Renditepotenzial. Aber auch die Agrarindustrie, die Landmaschinenhersteller sowie zahlreiche Chemie- und Saatgutfirmen hoffen dank den industriell bewirtschafteten riesigen Ackerflächen auf höhere Einnahmen.
«Durch Land Grabbing wird in den Entwicklungsländern die industrielle Landwirtschaft auf Kosten der kleinen, aber produktiven Familienbetriebe eingeführt», ist Henk Hobbelink von GRAIN überzeugt. Der einheimischen Bevölkerung, die den Boden seit Jahrzehnten bestellte, fehlen meist die Papiere oder die finanziellen Mittel, um sich zur Wehr zu setzen. Sie verlieren ihren Boden und die Grundlage ihrer Existenz.
Auf Kosten der Ärmsten
Paradoxerweise sind gerade diejenigen Länder, die den Ausverkauf ihrer Landreserven vorantreiben, von Hungersnöten oder von einer verbreiteten Mangelernährung der Bevölkerung betroffen.
Falsche Entwicklungsvorstellungen sind der Hauptgrund dafür, dass Regierungen grosse Landstriche an ausländische Investoren freigeben. Die Politiker glauben, dass die Verpachtung und der Verkauf von Land zur Steigerung des Bruttosozialprodukts und zu neuen Einnahmen führen. Und oftmals sind Korruption und Bereicherung durch die Eliten mit ihm Spiel.
Im Zuge der Nahrungsmittelkrise wurde zudem vielen Entwicklungsländern vorgeworfen, den Nahrungsmittelsektor vernachlässigt zu haben. Das Verpachten und Verkaufen von Land erachten die Verantwortlichen so als Möglichkeit, etwas für die Landwirtschaft zu tun ungeachtet der beträchtlichen sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen.
Unter der Lupe
Der neue Slogan der mehrjährigen ökumenischen Kampagne «Sehen und Handeln» zeigt das Grundanliegen von «Fastenopfer», «Brot für alle» und «Partner sein»: genau hinsehen, hinter die Fassade schauen, weltweite Zusammenhänge erkennen. Die oft verborgenen Ungerechtigkeiten würden beurteilt im «Licht der christlichen Botschaft und mit Hilfe der Menschenrechte», erklären die drei Werke. Eine Lupe werde während der Sammelkampagne auf den Plakaten helfen, zu sehen und zu erkennen, was sonst übersehen werde. «Diese Lupe wird ein Erkennungszeichen der ökumenischen Kampagne und uns die nächsten Jahre begleiten», so «Brot für alle».
Miges Baumann
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