Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Reise mit Zeitmaschine

min
01.01.2016
Wenn der Archäologe Kurt Bänteli durch Schaffhausen führt, erbaut er vor den inneren Augen seiner Zuhörer eine lebendige Mittelalterstadt.

«Schaffhausen war jemand in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts», sagt der Schaffhauser Archäologe Kurt Bänteli. Die hochadelige Familie der Nellenburger und ihre zwei Klöster hätten die Stadt zum Blühen gebracht. Waren die Klöster zuerst Rückzugsorte der Stille, wurden sie nach dem Tod des Stadtgründers Eberhard von Nellenburg zu Motoren der Stadtentwicklung. Der Abt von Allerheiligen wurde 1080 zum Stadtherrn und der Aufschwung von Klöstern und Stadt war fortan aufs engste verbunden. Reiche Schaffhauser Familien stifteten Geld, um sich ein Tor ins Paradies zu sichern.

Ein Kokurrent für Allerheiligen
Kurt Bänteli, der seit 35 Jahren für den Kanton alte Zeitzeugen ausgräbt oder Gebäude untersucht, ist Detektiv, wenn es ums Finden von Spuren aus dem Mittelalter geht. Wo heute im Altersheim Pfrundhaus die Cafeteria-Tassen klappern, beteten früher die Nonnen. Der Archäologe zeigt auf die fast 950 Jahre alte Wand. Darin entdeckt man alte Fensterbögen der einstigen romanischen Klosterkirche St. Agnes. Ita von Nellenburg hat das Frauenkloster als weibliches Pendant zu Allerheiligen gestiftet. Mit der friedlichen Koexistenz war es Mitte des 13. Jahrhunderts vorbei: Als Konkurrenz zum Platzhirsch Allerheiligen trat das dritte Kloster auf den Plan. Bald gruben die Barfüssermönche, religiöse Erneuerer im Namen des heiligen Franziskus, dem älteren Kloster die Stiftergelder ab. Heute aber zeugen einzig die weissen Pflästerungen an der Stadthausgasse vom damaligen Ausmass der grossen Barfüsser Kirche. Und ein alter Säulenfuss, versteckt hinter einer Kiste Streusand.
Mit Bänteli kann man durchs mittelalterliche Schaffhausen schweifen und extrem viel erfahren. Entweder indem man den neuen Schaffhauser Stadtführer zur Hand nimmt und seine Textführung «Gottesfurcht und Seelenheil» unter die Füsse nimmt. Oder aber indem man sich ihm persönlich anschliesst. Der Achäologe bringt sein Wissen über alte Mauern und Grundrisse mit einer privaten Datenbank von Personen aus dem Mittelalter in Verbindung. Dafür hat er alte Stadtrechnungen und Steuerbücher ausgewertet und eine eigentliche Zeitmaschine gebaut. Unter seinen Schilderungen wachsen die alten Gemäuer wieder in die Höhe, füllt sich die Stadt mit Mittelalterleben.
Dazu gehörte die Sehnsucht nach Seelenheil. Bänteli schildert, wie in den Pfrundhäusern rund um St. Agnes zahlreiche Pfarrer hausten. Als «Privatseelsorger» waren sie von den Familienstiftungen angestellt, um an deren Altären Seelmessen abzuhalten. Die Überreste solcher Altäre sind in der Pfarrkirche St. Johann zu besichtigen. Derjenige der Bürgerfamilie Täuber und vis à vis die Familienkapelle der Bürgerfamilie Löw. Kaum waren aber diese Familienaltäre errichtet, war es mit der Tradition der privaten Himmelspforten wieder vorbei: Die Reformation mit dem Bildersturm setzte ihr ein Ende. Stets folgten auf eine Blütezeit Niedergang und Neuanfang, sagt Bänteli. «Die Erforschung der Geschichte ist endlos, immer wieder finden wir einen neuen Mosaikstein im Bild, das wir von der Vergangenheit haben.»



«Kirchenbote»-Führung
«Forschungsreise durch das mittelalterliche Schaffhausen» mit Kurt Bänteli. Am Samstag, 7. September, 9.30 Uhr, Münstervorplatz Schaffhausen. Anmeldung: 061 205 00 20 oder sekretariat@kirchenbote.ch.

Barbara Helg

Unsere Empfehlungen

Weihnachtszeit, Wichtelzeit

Weihnachtszeit, Wichtelzeit

Christkind und Samichlaus haben Konkurrenz bekommen: Wichtel Finn schlägt für die Migros die Werbetrommel. Doch warum erobert ein ursprünglich skandinavischer Troll die Herzen der Schweizer?
Gemeinsam beten – zu intim?

Gemeinsam beten – zu intim?

Beten ist für viele fast so intim wie das, was im Schlafzimmer passiert, schreibt Pfarrerin Anna Näf in ihrem Gastbeitrag. Warum das Gebet einen geschützten Rahmen braucht – und wieso selbst sie als Pfarrerin manchmal Gebetshemmungen hat.