Schwester Benedikta: Einsiedlerin und Frohbotschafterin
Steil fallen die Wände in die Schlucht hinab, durch die sich der Bach schlängelt. Vor kurzem trat er über die Ufer. Die kleine Kartause duckt sich unter einem überhängenden Felsvorsprung. Schummriges Licht fällt durch die alten Bäume. Es sei ein mystischer Ort, erklärt Schwester Benedikta. Seit einem Jahr lebt die Einsiedlerin in der Verenaschlucht oberhalb von Solothurn. Wie die heilige Verena, die im 3. Jahrhundert hier Wunder wirkte.
Doch einsam ist es für die Einsiedlerin nicht: Spaziergänger mit Hunden, Wanderer und ganze Schulklassen kommen in ihrem Garten vorbei. Nicht wenige klopfen an der Pforte der Kartause an. Benediktas Vorgängerin hat nach kurzem gekündigt. Der Rummel war ihr zu gross. 119 Bewerberinnen und Bewerber aus ganz Europa antworteten auf das Inserat. Gewählt wurde Schwester Benedikta.
Stört Sie der Rummel in der Verenaschlucht nicht?
Schwester Benedikta: Nein, etwas Zentrales in der Spiritualität von uns Einsiedlern ist die Gastfreundschaft und Offenheit gegenüber den Menschen, die Rat, seelsorgerliche Gespräche oder ein Gebet suchen. Natürlich bin ich für viele ein Kuriosum, das sie sehen wollen. Zwischendurch schliesse ich die Türe und hänge ein Plakat an den Zaun, dass ich nicht zu sprechen bin.
Was wollen die Leute von Ihnen?
Die Verenaschlucht hat etwas Mystisches. Für manche etwas Tröstliches, wie sie mir sagen. Viele suchen hier Trost und zünden in der Kapelle eine Kerze an. So kommen wir ins Gespräch. Die einen wollen ihre Berufung abklären, andere haben etwas Schweres erlebt, ihr Partner ist gestorben, sie fragen sich, ob sie sich scheiden lassen sollen, oder sie haben Schwierigkeiten mit ihren Eltern oder Kindern.
Das klingt anspruchsvoll.
Ich habe nicht den Anspruch etwas Gescheites sagen zu müssen, sondern einfach dazusein und zuzuhören. Meist kommt der Moment, in dem ich das Gegühl habe, dem anderen etwas vermitteln zu können. Manchmal braucht es einfach eine Umarmung oder einen Händedruck.
Schwester Benedikta, einst, reformiert, verheiratet und Mutter von vier inzwischen erwachsenen Kindern, lebte schon seit sechs Jahren als Einsiedlerin, bevor sie in die Verenaschlucht zog. Zunächst als Stadteremitin, zurückgezogen in einer Wohnung, später im Bündnerland. Ihr Tagesablauf ist geprägt vom Gebet, Schweigen, dem Psalmgesang in der St. Martins-Kapelle und den Gesprächen mit den Besuchern. Sie unterhalte hier ein franziskanisches Ein-Frau-Kloster, scherzt sie gegenüber den Medien.
Warum mussten Sie sich zurückziehen, um Gott zu suchen?
Ich war suchend, nach dem Sinn des Lebens und Gott. Ich fing an die Bibel zu lesen und sie im Alltag umzusetzen. Dann kam die Berufung zum Gebet, die mich mitten in meinem Familienleben traf.
Hilft das Schweigen auf der Suche nach Gott?
Ja. Das äussere Schweigen macht, dass wir innerlich ruhig werden und näher zu uns und zur Quelle kommen. Und je näher ich zu Gott komme, umso stärker spüre ich, wie ich zu mir komme.
Was bedeutet für Sie Glauben?
Leben schlechthin. Das ist mein Halt. Ohne Glauben kann ich nicht sein.
Warum gingen Sie nicht in ein Kloster, sondern wählten den Weg als Eremitin?
Anfänglich wollte ich in eine Gemeinschaft eintreten. Ich bin kommunikativ und gerne mit anderen zusammen. Ich schaute mir verschiedene Klöster an, lebte bei den Benediktinerinnen, um ihren Tagesablauf zu verinnerlichen. Im Gespräch mit den Oberinnen wurde mir klar, ich bin eine Eremitin. Ein Stück weit blieben mir einige Gepflogenheiten fremd. Der evangelische Glaube bildet meine Wurzel.
In den nächsten Tagen wird die Eremitin etwas weniger Zeit für Rückzug und Schweigen haben. Ende August erscheint ihre Biografie «Licht auf meinem Pfad». Im letzten Herbst stand jemand vom Orell-Füssli Verlag vor ihrer Pforte und unterbreitete ihr die Idee, ein Buch über ihr Leben und ihre Berufung zu schreiben. Schwester Benedikta sagte zu.
Das Leben der 52-Jährigen verlief keineswegs gradlinig. Als Kind in einer Adoptivfamilie aufgewachsen, durchlebt sie eine schwierige Jugend, geplagt von Selbstzweifeln, Drogen und Depressionen. Sie erlernt Kleinkindererzieherin, heiratet und bekommt vier Kinder. Der Glaube und die Sehnsucht und Suche nach Gott begleitet sie seit ihrer Kindheit. Mit 13 Jahren liest sie die Biographie von Niklaus von Flüh und ist stark beeindruckt, dass Gott auf das menschliche Leben so antwortet.
Ihr Lebensweg sei schwierig gewesen, schreibt sie in ihrer Biografie. Als Kind lebt sie mit dem Gefühl, nicht erwünscht zu sein, und hat grosse Mühe sich selbst anzunehmen. Ihre Adoptiveltern möchten, dass sie ist wie sie. Das kann sie nicht und erlebt die Hilflosigkeit und das Unverständnis der Erwachsenen. In der Bibel begegnet sie einem Gott der Liebe und Barmherzigkeit, der sie akzeptiert. Mit 39 Jahren erfährt sie, dass Gott zu ihr sagt: Leg deine Arbeit nieder und führe ein Leben in Gebet. Der Ruf begleitet sie über Jahre. Immer wieder wehrt sie sich dagegen, bis ihr ein Priester erklärt: «Wenn Gott dich so sehr ruft, musst du dich stellen.»
War Ihr Weg zur Eremitin für Ihre Familie nicht schwierig?
Doch. Die Trennung von meinem Mann und der Familie war schwierig. Das will ich nicht verhehlen. Mein Mann fand die Christusnachfolge zunächst gut. Doch er wollte auch einmal einen Film anschauen und einen Krimi lesen solches hatte ich hinter mir gelassen. Mein Sohn meinte, jetzt spinnt sie. Es brauchte viel Zeit für die Auseinandersetzung und die Gespräche. Heute stehen sie hinter mir und sind etwas stolz auf mich. Mein Leben als Einsiedlerin bedeutet ja nicht den Abbruch der Beziehungen, sondern Abschied vom Familienleben.
In der Verenaschlucht erlebt Schwester Benedikta, wie sehr sich die Leute nach Wahrheit, Klarheit und Echtheit sehnen. Sie hält nicht viel von den Werbestrategien, welche einige Kirchgemeinden zurzeit entwickeln. Man müsse einfach zu den Leuten hingehen, mit dem Evangelium, der Froh-Botschaft. Wenn die Schwester mit den Besuchern spricht, merkt sie, wie viel sie miteinander verbindet. Eine «Kirche, die den Gott der Liebe vor sich herträgt, trifft die Menschen in ihrem Herzen», ist sie überzeugt.
Niklaus von der Flüh mahnte die Eidgenossen vor 500 Jahren zur Einigkeit. Was rät die heutige Einsiedlerin der Politik?
Dass die Verantwortlichen den Frieden suchen, mit sich, mit anderen und der Welt. Das klingt jetzt etwas simpel. Aber in einer Zeit, in der es brodelt und so viel Unruhe und Angst herrscht, ist es wichtig, zu zeigen, dass das Ziel des Lebens darin besteht, die Liebe zu finden. Wir dürfen dabei auf Gottes Liebe und Handeln vertrauen. Er kennt uns besser, unsere tiefsten Wünsche erfüllt er uns. Das habe ich in meinem Leben wieder erlebt.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Buch: Schwester Benedikta, «Licht auf meinem Pfad», Orell Füssli Verlag, CHF 26.90
Zum Bild: Schwester Benedikta lebt als Einsiedlerin in der Verenaschlucht.
Kirchenbote
Tilmann Zuber / Interkantonaler Kirchenbote / 25. August 2015
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