Unterwegs in den Krisenherden
Frau Tagliavini, sind Sie als Botschafterin des OSZE ein moderner Friedensengel?
Ein Friedensengel bin ich zwar nicht. Aber es ist richtig, dass ich mich an vielen oftmals von blutigen Konflikten heimgesuchten Orten um die Wahrung und die Wiederherstellung des Friedens bemüht habe. So in Tschetschenien, später auf dem Balkan, in Georgien und zurzeit in der Ukraine. Das ist ein mühsames Geschäft, das viel Sachkunde im Hinblick auf den jeweilen Konflikt, Erfahrung, Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl erfordert. Und vor allem viel Geduld. Ich bin zwar kein Friedensengel, wohl aber brauche ich die nötige Engelsgeduld.
Ist diese Friedensarbeit nicht eine Sisyphusarbeit, wenn man aktuell die neueste Entwicklung in der Ukraine betrachtet?
Der grosse französische Autor der Kriegs- und Nachkriegsjahre, Albert Camus, lässt seinen berühmt gewordenen Essay «Der Mythos des Sisyphos» mit den beiden Sätzen enden: «Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.» Das lässt sich so verstehen, dass schon das stete Bemühen um den Erfolg seinen Sinn in sich trägt. Man darf sich nicht davon abschrecken lassen, dass Friedensarbeit oft schwierig und langwierig ist. Schwierige Aufgaben können nun einmal nicht leichthin gelöst werden. Man muss sich aus vollen Kräften einsetzen und darf Rückschläge nicht scheuen.
Was gibt Ihnen die Kraft, trotz schwieriger Bedingungen Ihre Arbeit als Botschafterin motiviert auszuüben?
Das ist schwer zu beantworten. Sicher, die Arbeit ist kräftezehrend, physisch wie psychisch. Ein Antrieb ist die Hoffnung, dass jeder Erfolg bei der Friedensschaffung, sei er klein oder gross, dazu beiträgt, Gewalt und Unrecht zurückzudrängen und viele Menschen vor Schlimmerem zu bewahren.
Die OSZE ist nicht unumstritten, auch in der Schweiz. Spüren Sie diesen Widerstand?
Nein. Die OSZE sollte eigentlich nicht umstritten sein, denn sie ist das Kernstück der nach dem Ende des Kalten Kriegs entstandenen Sicherheitsarchitektur in Europa. Auch die Schweiz profitiert seit Jahrzehnten davon. Selbst Kritiker und Zweifler sind inzwischen davon überzeugt, dass die OSZE eine Organisation ist, die unsere Anerkennung verdient. Zumal in diesem Jahr die Schweiz mit unserem Aussenminister und Bundespräsidenten Didier Burkhalter den Vorsitz in der OSZE innehat.
Heidi Tagliavini, war am 25. November in der Predigerkirche Basel, im Rahmen der «Ökumenischen Sternschnuppen zum Frieden»
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