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Dispensieren oder integrieren?

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18.12.2019
Das Haus der Religionen bietet neu einen Workshop an, in dem religions- und kulturbedingte Fragen im Schulalltag im Zentrum stehen. Mitinitiantin Zeinab Ahmadi erklärt, weshalb gerade in der Adventszeit sich Lehrpersonen häufiger mit Religion befassen und weshalb Vorfälle wie in einer Schule in Wil Einzelfälle sind.

Frau Ahmadi, häufen sich im Haus der Religionen in der Advents- und Weihnachtszeit die Anfragen von Schulen wie mit Religion umzugehen ist?
Ja, aber nicht nur die Anfragen. Im Dezember haben wir überhaupt mehr Workshops mit Schulklassen. Das war auch in den letzten Jahren so.

Wieso ist dem so?
Aufgrund der Adventszeit ist das Thema Religion stärker präsent in den Schulen. Man setzt sich vermehrt mit der Bedeutung von religiösen Botschaften, Ritualen oder der Gemeinschaft auseinander.

Wenn Lehrpersonen bei Ihnen anrufen, welche Themen beschäftigen Sie?
In der Weihnachtszeit kommt die Frage, wie man nicht-christliche Schülerinnen und Schüler in das Fest einbeziehen kann. Was man zum Beispiel bei Weihnachtszeremonien beachten sollte, damit keine religiösen Gefühle verletzt werden oder wie man diesbezüglich mit Dispensationsgesuchen umgeht. Dabei können vermeintlich kleine Dinge grosses Gewicht haben, wenn man bei der Wahl des Weihnachtsliedes zum Beispiel darauf achtet, dass der Text keine Glaubensbekenntnisse enthält, oder beim Weihnachtstheater die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden lässt, welche Rolle sie verkörpern möchten.  

Jüngst las man in den Medien, eine Schule in Wil verzichtet auf drei Weihnachtslieder. Sind Probleme im Umgang mit Religion in vielen Schulen präsent?
Nein, das sind eher Einzelfälle auch wenn das mit Blick auf den medialen Diskurs überraschen mag. Die meisten Schülerinnen und Schüler, die einer Konfession angehören, begegnen während ihrer Schulkarriere keinen solchen Herausforderungen.

Wie war das bei Ihnen? Sie sind praktizierende Muslimin.
Ich und auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen hatten nie Probleme. Während der Fastenzeit kam es vor, dass ich im Turnunterricht während dem 12-Minuten-Lauf marschiert bin, anstatt zu joggen. Mein Lehrer kam mir da aber jeweils auch entgegen. Ich erinnere mich auch an eine Klassenkameradin, die jeweils nicht mit auf Klassenfahrt kam und vom Sexualkundeunterricht dispensiert wurde. Sie hatte einen christlichen Hintergrund, wobei natürlich auch das nicht verallgemeinert werden darf.

Wenn Sie sagen, Vorkommnisse wie in Wil sind Einzelfälle, wieso hat das Haus der Religionen dann neue berufsspezifische Workshops für Lehrpersonen und Jugendarbeiter entwickelt, welche von Pädagoginnen unterschiedlicher religiöser und kultureller Hintergründe durchgeführt werden und Fragen zum interreligiösen und interkulturellen Leben in der Schule diskutieren?
Die Workshops haben zum Ziel durch direkten und authentischen Austausch Berührungsängste und Vorurteile abzubauen, damit eine differenzierte und konstruktive Gesprächskultur in der Schule entstehen kann. Für bestimmte Fragestellungen braucht es auch präventive Sensibilisierung. Wie kann ich als Lehrperson zum Beispiel reagieren, wenn die Eltern ihre Tochter vom Sexualkundeunterricht dispensieren lassen möchten? Was wäre bei einem Gespräch diesbezüglich zentral und wie sieht die rechtliche Lage dazu aus? So können auch bei Einzelfällen Lösungen innerhalb der Schule gefunden werden und es muss nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Der persönliche Kontakt innerhalb der Workshops führt gleichzeitig auch vor Augen, welche grosse Vielfalt es innerhalb einer Gemeinschaft gibt: Jede Person lebt seine Religion anders aus. Man kann nicht von Erfahrungen, die man mit einzelnen Schülerinnen und Schülern macht, auf ganze Gruppen schliessen. Zudem ist es unseren Workshop-Leitenden auch ein Anliegen, eigene Themen zu setzen, indem sie beispielsweise über den Stellenwert der Bildung innerhalb der Religionen sprechen oder über Feste und Rituale und deren Bedeutungen.

Viele Schule gehen mit positivem Beispiel voran.
Absolut. Schulen mit einer multikulturellen Schülerschaft haben teilweise neue Rituale entwickelt. Eine Berner Schule stellt jeweils einen Weihnachtsbaum auf, den sie mit von Schülern verfassten Wünschen schmückt. Jedes Kind, egal welcher Religion es angehört, kann seine Wünsche festhalten. Schulen fragen Eltern an, den Hauswirtschaftsunterricht zu leiten, so dass beispielsweise ein türkisches Gericht gekocht wird. Die Mehrsprachigkeit wird in gewissen Klassen in den Unterricht integriert, wenn Schüler Gedichte in ihrer Zweitsprache aufführen.

Nicola Mohler, reformiert.info, 18. Dezember 2019

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