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Seit 15 Jahren als Christin in Marokko

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02.04.2016
«Verbiete nicht deiner Tochter auszugehen, sondern lehre deinen Sohn sich zu benehmen» , lautet ein Sprichwort im arabisch geprägten Marokko. Seit der Kölner Silvesternacht und den dort von mehrheitlich jungen Algeriern und Marokkanern begangenen sexuellen Übergriffen auf Frauen haben diese weisen Worte aus dem nordwestafrikanischen Land noch an Bedeutung gewonnen.

Die Schweizerin Brigitte Zahner (46) lebt seit 15 Jahren in Marokko und kennt das Land und seine Menschen gut. Sie ist Christin, stammt aus Kaltbrunn im Kanton St.Gallen und ist der Liebe wegen nach Marrakesch gezogen. Die Ereignisse von Köln seien in ihrer Wahlheimat ein Thema gewesen, aber für den Grossteil der Bevölkerung sind sie einfach zu weit weg: «Viele Marokkaner müssten zuerst einmal schauen, wie sie sich und ihre Familien jeden Tag über die Runden kriegen», sagt die Auswanderin. Gibt es aus marokkanischer Sicht dennoch eine Erklärung für die Vorfälle in Köln?

Die soziale Kontrolle durch das engste gesellschaftliche Umfeld – also die Familie, die Freunde und die Nachbarn – sei in Marokko derzeit noch viel dichter als beispielsweise im liberalen Europa. «Manche Männer aus Marokko wissen überhaupt nicht mit den überraschenden Freiheiten in Europa umzugehen. Viele finden nicht das richtige Mass in Europa – weder in der Sexualität noch beim Alkohol», sagt Zahner. Einfach in ein fremdes Land zu gehen und dort zu schauen, was passiert, war gegen das Naturell der Bauerntochter: «Ich bin jemand, der sehr gerne arbeitet, und mein Job als Kinderkrankenschwester in einem Rehabilitationszentrum hat mir sehr gut gefallen. Ich wollte nicht einfach nach Marokko kommen und dort nichts tun, nichts sein», erinnert sie sich.

Erstmals Ruhe

Eine Wandertour durch die grösste Wüste der Erde, die Sahara, sollte Zahners Leben vor 20 Jahren gehörig durcheinander wirbeln: «Das war der erste Ort in meinem Leben, wo ich mich ganz ruhig gefühlt habe, wo ich nichts musste, nichts sagen musste, nichts sein musste.» Zuerst sind ihr nur die Hände des jungen, marokkanischen Tourguides aufgefallen. «Zwei oder drei Wanderinnen hatten sich bei dieser Reise in Lahoucine Taha verliebt – ich war eine davon», schmunzelt Zahner heute.

Dank einer Kooperation mit dem österreichischen Reiseveranstalter Weltweitwandern konnten Zahner und Taha vor 15 Jahren ihre
eigene Trekking-Firma in Marrakesch aufbauen: «In dem Moment wusste ich, jetzt gibt es Arbeit für mich in Marokko. Also haben wir gesagt, wir versuchen es. Für meine ganze Familie und meine Freunde war es eine Erlösung nach vielen Jahren des Hin und Hers», erinnert sich die Unternehmerin, die zusammen mit ihrer gros­sen Liebe mittlerweile die Verantwortung für mehrere Dutzend Mitarbeiter trägt.

Heirat und Kindererziehung

Nach der Übersiedlung in die alte marokkanische Handelsstadt Marrakesch hat das Jung­unternehmer-Paar Hochzeit gefeiert. Inzwischen sind die beiden stolze Eltern von Khira (9) und Idir (7), die mit «Schwiizerdütsch», der Berber-Sprache Tamazight – sowie in der Schule mit Französisch und Arabisch – viersprachig aufwachsen. «Ich spreche mit den Kindern meine Muttersprache, mein Mann seine.» Obwohl Taha inzwischen sehr gut Deutsch mit Schweizer Zungenschlag beherrscht und auch deutschsprachige Touristen durch Marokko führt, spricht das Paar unter sich – wie beim ersten Kennenlernen in der Wüste – ausschliesslich auf Französisch miteinander.

Abseits der unterschiedlichen Sprachen sei es eine Gratwanderung gewesen, «was ich als Mutter vermittle und er als Vater. Das hat uns an die Grenze unserer Beziehung gebracht», erzählt Zahner über den Kulturen-Aufeinanderprall in der Familie. Der Konflikt ist inzwischen gelöst: Einige Traditionen bringen die Eltern ihren Kindern gemeinsam bei und andere getrennt. Frei nach dem Motto: leben und leben lassen.

Ein weiser Mann soll einmal über die richtige Erziehung von Kindern gesagt haben: «Bis zum Alter von sieben soll dein Kind hinter dir stehen und du sollst es beschützen. Von sieben bis 14 soll dein Kind neben dir stehen, du sollst alle Fragen beantworten und ab und zu zeigen, wer der Chef ist. Von 14 bis 21 soll das Kind vor dir stehen, und das heisst für dich als Erzieher: drei Schritte zurückgehen, dem Kind Freiheit geben, aber immer an der Leine halten. Nach 21 sollst du dein Kind loslassen.» So lautet eine Empfehlung im Islam.

Zahner findet, dass diese Worte etwas für sich haben und Teil der Erziehung sein können, aber nicht müssen. Sie selbst versucht ihren beiden Kindern eine Basis zu geben, von der aus sie sich entfalten können und die Welt entdecken. «Ich handhabe die Erziehung wie meine Mutter: loslassen, die Kinder ihren Weg gehen lassen, aber immer auch vorleben und vermitteln: Egal was ist, ihr dürft immer wieder heimkommen – also nicht einfach rausschmeis­sen und das Elternhaus verschliessen.» 

Auch die Religion spielt in der Familie Taha-Zahner eine Rolle. Er ist Muslim, sie Christin. Für Zahner sei es noch nie ein Thema gewesen, zum Islam zu konvertieren: «Der Zwang zu konvertieren hat so viel Schlechtes über die Welt gebracht, sei es jetzt bei Muslimen oder bei Christen, weil so viel manipuliert wird. Deshalb behalte ich meinen Glauben für mich.» Ihre Tochter und ihr Sohn sind jedoch Muslime, denn im Islam haben Kinder von Geburt an automatisch den Glauben des Vaters, ganz gleich ob er Christ, Muslim oder Jude ist.

Alle religiösen Feste feiern

Zahner versteht nicht, warum man sich wegen der Religion bekriegen sollte: «Für mich geht es beim Islam viel um Meditation: fünf Mal am Tag beten, man muss sauber sein. Das ist so, wie wenn jemand Yoga-Übungen macht, singt oder zeichnet.» Deshalb werden in der Familie christliche Feste genau so gefeiert wie das Hammelfest, das höchste islamische Fest, bei dem an den jüdischen Propheten Abraham
erinnert wird. «In unserem Haus in Marrakesch haben wir jeweils sogar einen Christbaum.» 

Ist eine Rückkehr in die Heimat irgendwann wahrscheinlich? «Wir fühlen uns sehr wohl hier in Marokko. Dass wir als Familie einmal in Europa leben, dafür müsste etwas völlig Unvorhergesehenes vom Himmel fallen, zum Beispiel Krieg», ist sich das Paar einig. Für die Schul- und Berufsausbildung ihrer Kinder sieht die
Sache anders aus. «Da können wir uns schon vorstellen, dass sie einmal in die Schweiz gehen, wenn sie das wollen. Unseren Kleinen gefällt es gut in meiner Heimat und beide werden ihren Weg gehen – Inschallah.» (So Gott will.)

 

Text und Foto: René Jo. Laglstorfer   Kirchenbote SG, April 2016  

 

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