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Singen als Heimat

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01.01.2016
Christoph Kamber ist leidenschaftlicher Gospelmusiker. Der blinde Pfarrer und Chorleiter lädt jedes Jahr zum Festival und macht Basel zur Gospelstadt.

«Im Singen habe ich immer meine Heimat gefunden», sagt Christoph Kamber. Die Musik begleitet den blinden Pfarrer seit seiner Kindheit. Heute schreibt er seine eigenen Lieder. Zusammen mit seiner Frau Beatrice leitet er die Chorgemeinschaft «The Gospel Voices» und baut in Basel das «Gospel Zentrum» auf. Sein Weg zum «Gospelpfarrer» war steinig und ist noch nicht zu Ende.
Als sich abzeichnet, dass Christoph Kamber als Folge einer Netzhaut­erkrankung erblinden wird, schicken ihn seine Eltern in ein Schulheim für Sehbehinderte in Zollikofen. Es sind die Sechzigerjahre. «Für mich war es eine schlimme Zeit, ich war viel allein», erinnert er sich. Eltern und Geschwister wohnen weit weg in Hellbühl im Kanton Luzern. Nach Hause kann er nur an den Wochenenden. Sein Vater, ein begeisterter Klavierspieler, schenkt dem Jungen eine Schallplatte des Golden Gate Quartet. Die Songs trösten ihn, wenn er sich einsam fühlt: «Ich war sieben Jahre alt und lernte alle Lieder auswendig.»
Nach der Schule absolviert Christoph Kamber die Ausbildung zum Primarlehrer. Musik begleitet ihn weiterhin, der Gospel allerdings tritt für gut 30 Jahre in den Hintergrund. Er spielt Klavier und widmet sich vor allem dem Jazz. Er möchte blinde Kinder unterrichten. Da man zu dieser Zeit jedoch damit beginnt, mehrfachbehinderte Kinder in die Klassen zu integrieren, wachsen die Anforderungen. Für blinde Lehrer wird es schwierig, eine Anstellung zu finden.

Ausgrenzung macht zu schaffen
Christoph Kamber sattelt um und studiert Theologie. Im Jahr 2005 wird er in Basel ordiniert. Auch hier werden seine Erwartungen enttäuscht. «Mit dem Blindsein kann ich gut umgehen», meint er. Die Ausgrenzung hingegen mache ihm zu schaffen. Auch in der Kirche spüre er sie. Im Baselbiet, wo er in mehreren Gemeinden immer wieder Stellvertretungen übernimmt, kennen ihn viele. Ein festes Pfarramt ist ihm bisher verwehrt geblieben. «Nobody cares» «niemanden kümmert es», heisst denn auch Christoph Kambers erstes Lied. «Als ich es schrieb, glaubte ich, keine Perspektive zu haben», erzählt er: «Meine Lieder spiegeln häufig meine Lebenssituation.» Mittlerweile sind es über zwanzig Songs.
Die Leidenschaft für die Gospelmusik erwacht im Jahr 2000. Als Jazzpianist begleitet er einen Chor in einem Gospel-Musical: «Dort habe ich zum Gospel gefunden.» Dieses Jahr versammeln Christoph und Beatrice Kamber bereits zum fünften Mal Chöre aus der Region und der ganzen Schweiz zum Gospelfestival in Basel. Die Arbeit mit seinem eigenen Chor «The Gospel Voices» sei vor allem für die sehenden Mitglieder anspruchsvoll, findet Christoph Kamber. Der 52-Jährige arbeitet ohne Noten. Die Sängerinnen und Sänger singen nach, was sie von Christoph Kamber hören, und lernen die Lieder auswendig. «Gospel muss leben», so der Chorleiter. Noten seien da eher ein Hindernis.

Traum vom «Gospel Zentrum»
Ganz ohne ein paar Augen, die zum Rechten schauen, geht es aber nicht. Denn «wenn ich keine Stimme höre, nehme ich die Person nicht wahr», erklärt Christoph Kamber. Deshalb ist Beatrice Kamber bei den Proben und Auftritten immer dabei, um ihren Mann zu unterstützen. Mit dem «Gospel Zentrum» möchten die beiden ihren Traum verwirklichen von einem Ort, «wo sich Menschen aller Altersgruppen, unabhängig von Herkunft und Konfession begegnen können».
Für die erfolgreiche Umsetzung fehlt jedoch ein geeigneter Raum. Diesen zu finden, ist zurzeit ihr grösstes Anliegen. Und Christoph Kamber hat noch eine weitere Vision: «Ich wünsche mir, dass das Bild von zwei Gattungen Menschen aus den Köpfen verschwindet, damit Nicht-Behinderte und Behinderte gleichberechtigt aufeinander zugehen können.»


Go Spell Gospel: Gospelfestival, Sonntag, 28. Oktober, ab 9 Uhr,
Zwinglihaus, Gundeldingerstrasse 370, Basel

Karin Müller

Links:
www.gospel-zentrum.ch

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