40 Jahre evangelische Einheit in Vielfalt
107 Kirchen
aus praktisch allen europäischen
Ländern gehören heute der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (Geke) an, die bis 2003 noch «Leuenberger Kirchengemeinschaft» hiess. «Einheit in versöhnter Verschiedenheit»: So wird heute oft das Leuenberger Ökumenemodell auf den Punkt gebracht; Kirchen können zusammenfinden, ohne sich strukturell vereinen oder ihre Besonderheiten aufgeben zu müssen.
War die Leuenberger Konkordie von 1973 ein Durchbruch oder eher der Nachvollzug einer vorgezeichneten ökumenischen Entwicklung? Beides, meint Martin Hirzel, Beauftragter für Ökumene und Religionsgemeinschaften beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund. Die Konkordie kam nicht aus dem Nichts. Schon Ende der fünfziger Jahre gab es viel ökumenischen Enthusiasmus: «Man fand, es sei höchste Zeit, Schritte zu unternehmen, um die konfessionelle Trennung innerhalb des Protestantismus zu beenden.» Und die Konkordie
hat sogar eine noch längere Vorgeschichte, die bis in den Kirchenkampf in der Zeit des National
sozialismus zurückreicht.
Karl Barth im Hintergrund
Schon damals standen Lutheraner und Reformierte notgedrungen im engen Kontakt. Hirzel: «Die Barmer Erklärung von 1934, die wesentlich von Karl Barth ausgearbeitet wurde, war ein starkes Movens.» Und bei der Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland nach dem Krieg waren von Anfang an beide Konfessionen, Lutheraner und Reformierte, dabei. Doch lange gab es nur Thesen und bilaterale Übereinkünfte zur Kooperation. «Deshalb war die Konkordie von 1973 für die deutschen Kirchen schon ein Durchbruch.»
Und für die Schweiz? Hier zieht Hirzel längere historische Linien: «Auf dem Leuenberg wurde die Chance, die in den Marburger Religionsgesprächen von Luther und Zwingli verpasst wurde, wahrgenommen. Aus Sicht der Schweizer Kirchen mit ihrer Bekenntnis-
freiheit war das überfällig.» Schon die Einigung von Zwinglianern und Calvinisten im Consensus
Tigurinus von 1549 hatte hier vorgearbeitet.
Estrich aufgeräumt und geleert?
In der Tat, liest man die Leuen
berger Konkordie heute, so fällt ins Auge, wie hier historische Brennpunkte der Dogmatik abgearbeitet werden, die kaum mehr Anlass zu offenem Streit geben: vor allem das Verständnis des Abendmahls, dann aber auch Prädestination und christologische Fragen. «Ja, die Leuenberger Konkordie war in diesem Sinn rückwärtsgewandt», sagt Hirzel. Man suchte eine Metaebene, ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums, um in diesem Licht die alten Lehrverurteilungen Punkt für Punkt zu betrachten und festzustellen, dass sie eben nicht mehr kirchentrennend sind. Genau diese Methode macht das Neue der Leuenberger Konkordie aus. Hat man den Estrich aufgeräumt und geleert? «Nein, aber abgestaubt, die Themen sind noch da; und wir reden weiter miteinander!»
Aber kann die Leuenberger Konkordie noch eine aktuelle Bedeutung haben? Diese Art von Ökumene sei stark institutionenorientiert, räumt Hirzel ein. «Man hat im Zusammenhang mit der Geke auch etwas abschätzig von Oberkirchenratsökumene gesprochen.» Doch diese Ökumene hat ermöglicht, dass die Kirchen der Reformation zusammenfanden, ihre Ämter anerkennen und den Pfarreraustausch pflegen können.
Katholische Kritik
Von katholischer Seite gibt es zwar die Kritik, man zementiere mit der versöhnten Verschiedenheit bloss den Status quo. «Doch die Leuenberger Konkordie hat auch ihre Dynamik, die weiterwirkt», so Martin Hirzel. «Sie ist nach vorne offen, theologische Weiterarbeit gehört wesentlich zur Arbeit der Kirchengemeinschaft.» In letzter Zeit wird denn auch stärker die Verbindlichkeit der Kirchengemeinschaft betont, die bereits in der Leuenberger Konkordie eingefordert wird.
Konkret haben in den letzten Jahren vermehrt gesellschaftliche Fragen, die gemeinsame Stellungnahme im europäischen Kontext im Vordergrund gestanden. Der Austausch zu den gemeinsamen Problemen im ethischen Bereich hat sich stark intensiviert.
In der personell kleinen Geke-Geschäftsstelle werde, so Hirzel, sehr dynamisch gearbeitet.
Ist aber institutionenorientierte christliche Ökumene noch relevant in einer sehr pluralen und privatisierten Religionslandschaft? «Die Herausforderung durch die pluralistische Situation wurde aufgenommen», sagt Martin Hirzel. Etwa mit der Studie «Evan
gelisch evangelisieren» oder mit dem Postulat eines Studienprozesses zu einer Theologie der Religionen, das im Schlussbericht der Geke-Vollversammlung 2012 in Florenz festgehalten ist.
Zum Bild: Leuenberg, 1973: die «Gründerväter» der Kirchengemeinschaft | Bild: GEKE
Stephan Landis/Reformierte Presse
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