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«Plötzlich kam der Wunsch, die Kinder taufen zu lassen»

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01.01.2016
Die Solothurner Kirche startete am Bettag eine Wiedereintritts-Kampagne. Der Fotograf Reto Schlatter tat diesen Schritt vor Jahren. Die Geburt seines Sohnes und der Tod eines Schulkollegen hatten ihn nachdenklich gemacht.

Ein Schäumchen von Nebel schwebt über dem Rhein und mittendrin treibt ein Weidling. Ein Paar tanzt Tango im Kreuzgang des Münsters. Zwei Menschen mit Behinderung berühren sich zärtlich. Das sind drei Blicke auf das Leben in Schaffhausen durch das Objektiv des Fotografen Reto Schlatter. Sein Weg hat ihn auch in die Ferne geführt: England, Marokko, Senegal oder Rumänien. Und immer nahe zu den Menschen: an der Arbeit, in der Natur, auf dem Markt, in der Strasse.

Orthodoxe Gesänge und Einssein mit der Natur
Im Trendcafé, wo er erzählt, warum und wie er wieder in die Kirche eingetreten sei, sucht der Fotograf nach Worten: «Ich habe ein Sensorium für das Religiöse», sagt Reto Schlatter. «Man hat doch manchmal ein Bedürfnis nach Spiritualität wie man es stillt, das ist die Frage.»
Im rumänischen Moldaugebiet habe er sehr arme Menschen kennen gelernt und deren wunderschönen Gesängen in den orthodoxen Kirchen gelauscht. Religiös könne er sich auch plötzlich beim Joggen im Wald fühlen «eins mit dem Kreislauf der Natur». Spiritualität, das sei das Empfinden von Bezogenheit zum Leben, von Bewusstsein, losgelöst vom Alltag. Schlatter entschuldigt sich für seine Wortsuche, «im Alltag suche ich eher nach den Worten, die Kinder dazu bewegen, sich anzuziehen».
So ungetrübt war der Bezug zur Kirche früher nicht. Weil dem Sohn die nötige Anzahl Zetteli, der Beweis für Gottesdienstbesuche, fehlten und der Pfarrer beschied, Reto müsse den Konfirmandenunterricht wiederholen, gab die ganze Familie kollektiv den Austritt. «Meine Eltern wollten den Sonntag der Familie widmen und so haben wir an diesem Tag gemeinsam etwas unternommen. Der Gottesdienst kam dabei zu kurz.»

Unverdienter Affront führte zum Bruch
Der Pfarrer bestand auch im Gespräch auf der Strafmassnahme, die die Eltern als unverdienten Affront empfanden. «Meine Eltern haben dann für mich eine «private Konfirmation organisiert», erzählt Schlatter. Sie hätten in Laufen den Gottesdienst besucht und er habe ein Bild geschenkt erhalten. Seitdem sei er im Religiösen heimatlos gewesen.
Seit er eine Familie habe, sei das Fragen nach dem Religiösen nicht mehr so präsent. Dafür kam der Wunsch, die Kinder taufen zu lassen. Oder der Versuch, vor der Geburt des zweiten Kindes zu beten. «Man kann vieles im Leben selber bestimmen», sagt Schlatter, «aber man hält nicht alles in den eigenen Händen.»
Für den Wiedereintritt hätten zwei Erlebnisse mit der Kirche den Ausschlag gegeben: Bei der Taufe des älteren Buben in der Kirche Burg in Stein am Rhein, habe er gemerkt, dass ihm das Ritual im Rahmen der christliche Gemeinschaft etwas bedeute. «Wir durften in eigenen Worten einen Spruch für Nico schreiben und uns einen Taufspruch aussuchen.» Bei der Beerdigung eines Schulkollegen in Beringen hätten ihm die Worte des Pfarrers geholfen, eigene Gedanken zu diesem Tod zu finden. Das hat gutgetan.
Reto Schlatter schrieb einen Brief an die Kirchgemeinde Zürich Unterstrass, wo er heute wohnt. Darin fasst er in knappen Sätzen seine positiven Begegnungen mit der Kirche zusammen. Und fügt an, dass er deren soziales Engagement abseits der medialen Aufmerksamkeit sinnvoll findet und unterstützen möchte. Nachdem er ein Antragsformular ausgefüllt hat, wird der Eintritt bald wirksam. «Ich bin zwar kein regelmässiger Kirchgänger geworden», erzählt Schlatter. Allerdings habe er begonnen, seinem Älteren die Geschichte von der Arche Noah zu erzählen. Mit der Kirche ist er derzeit im Rahmen seiner Arbeit im Kontakt: für eine religiöse Zeitschrift fotografiert er immer wieder für kirchliche Medien.

Barbara Helg

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