Christlicher Antijudaismus
DER GOTTESMORD
Falsch:
Der Begriff des Gottesmordes ist in der Mitte des 2. Jahrhunderts von Bischof Melito von Sardes geprägt worden: «Gott ist ermordet worden!» war sein Credo. Und die Schuldigen? Das waren die Juden. Schon im Neuen Testament wird ihnen Schuld am Tod Christi zugeschoben. Im Mittelalter wurde dieser Vorwurf kollektiv ausgeweitet: Aus «Christusmördern» wurden «Christenmörder» und die Juden wurden für alles Übel im christlichen Europa verantwortlich gemacht. Pest, Brunnenvergiftungen und Verschuldung. So wurde aus einem reliigiösen Motiv ein säkulares, das zunächst in mittelalterlichen Pogromen und später im Holocaust seinen Höhepunkt fand.
Richtig:
Der Prozess Jesu, der in seinem Tod gipfelte, war komplex: Mit seinem Aufruf zur Gottes- und Nächstenliebe, sowie seiner sozialen wie auch kulturellen Kritik erregte der Jude Jesu das Missfallen der jüdischen und römischen Obrigkeit. Jesus wird verhaftet, zunächst vor den Hohen Rat der Hohenpriester gestellt, die ihn zum Tode verurteilten. Später wiederholt der römische Statthalter Pilatus das Urteil und lässt den Nazarener gemäss römischem Recht kreuzigen.
GESETZ UND GNADE
Falsch:
Das Alte Testament enthält mit der Tora die Gesetzessammlung, die Mose von Gott erhalten hat. Mit dem Neuen Testament wurde die Gnade zum entscheidenden ethischen Massstab. Für Luther war es sogar der einzige Massstab. Das «sola gratia» der Reformation war so strikt, dass jegliche Bindung an das Gesetz als Frevel verstanden wurde. Bis heute hält sich das Vorurteil, dass für Juden das Gebot «Zahn für Zahn und Auge für Auge» gelte. Und der Gott des Alten Testaments der strafende Gott sei.
Richtig:
In der Botschaft vom Reich Gottes, der Bergpredigt und den Gleichnissen greifen der Jude Jesus und die biblischen Autoren des Neuen Testaments auf das Alte Testament zurück. Auch das Gebot der Nächstenliebe findet sich schon in 3 Mose 19,18. Dem liebenden Gott begegnet man in den Psalmen. Die Weisung der Nächstenliebe ist das Herzstück aller Gebote in der Tora.
DAS VERWORFENE VOLK
Falsch:
Israel wird im Neuen Testament an einigen Stellen mit dem «verworfenen Volk» identifiziert. In Matthäus ist sogar von Enterbung die Rede. Im Laufe der Kirchengeschichte wurde das Judentum als Negativfolie für das Christentum verwendet. Die Kirche beanspruchte für sich die Rolle des «wahren Israel» und übertrug die alttestamentarischen Verheissungen auf sich selbst. Die Juden hingegen seien dazu verdammt, heimatlos in der Welt umherzuirren.
Richtig:
Die ersten Urchristen verstanden sich als Teil der jüdischen Gemeinde. Schon bald kam es zu Spannungen zwischen der Jesusbewegung und den Juden. Streitpunkt war die Mission der hellenistischen Welt und die Einhaltung der jüdischen Gesetze. Das junge Christentum versuchte sich zu emanzipieren, indem es sich mehr und mehr von den Juden distanziert. Im 3. Jahrhundert wurde das Christentum unter Kaiser Konstantin zur Staatsreligion Die Juden jedoch lebten seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels als Minderheit über das ganze römische Reich verstreut. Das Auseinanderdriften von Christen- und Judentum hat auch historische Gründe.
Delphine Conzelmann
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