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«Die Jagd nach Zins und Zinseszins macht uns krank»

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01.01.2016
Der Luzerner Theologe Wini Schäfer engagiert sich für das Vollgeld. Die Volksinitiative will nicht weniger als das Schweizer Geldsystem revolutionieren.

Wini Schäfer bestellt seinen Kaffee schwarz, ohne Zucker und vor allem «ohne Löffel», wie er der Serviertochter in der Beiz noch mit auf den Weg gibt. «Ich teste damit immer die Flexibilität der Menschen», sagt er schmunzelnd, «wir sind doch immer alle so eingefahren in unserem Trott.» Flexibilität ist ein Motto, das auch auf Wini Schäfer passt: Der Theologe war bis Mitte der 90er-Jahre Pfarrer in Ebikon, baute anschliessend eine Computerschule für über 55-Jährige auf und bildete sich zum Homöopathen aus. Eine Tätigkeit, die er neben Pfarrstellvertretungen auch heute noch ausübt. Aktuell beschäftigt sich der umtriebige 56-Jährige vor allem mit Geld, genauer gesagt mit dem Thema «Vollgeld».
Nach 1:12, Mindestlohn und bedingungslosem Grundeinkommen ist die Vollgeldinitiative ein weiterer Vorstoss, der sich mit Geld beschäftigt. Während bei den erstgenannten Begehren die gerechtere Verteilung der Einkommen im Zentrum steht, geht es beim Vollgeld um den Schutz vor Finanzkrisen. Die Vollgeld-Initiative will erreichen, dass nur noch die Nationalbank Geld erzeugt und den Banken die Produktion von elektronischem Geld verboten wird. Das garantiere krisensicheres Geld und schütze vor grosser Inflation und Finanzblasen, erklärt der überparteiliche Verein, der hinter der Initiative steht.

Jagd nach Gewinnen
«Wir stecken in einer Tretmühle, in der es immer nur um Gewinnmaximierung geht. Geld vermehrt sich, ohne dass noch reale Arbeit dahinter steht», sagt Wini Schäfer. «Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die Jagd nach Zins und Zinseszins macht uns krank.» Zwischen 1992 und 2008 sei die Geldmenge in der Schweiz um 121 Prozent gestiegen, das Bruttoinlandprodukt ist hingegen bloss um 37 Prozent gewachsen. «Die Geldmengen überschiessen», bestätigt auch Joseph Huber, Finanzprofessor in Berlin und geistiger Vater der Vollgeldtheorie. «Es ist so viel Buchgeld im Umlauf, dass die Zentralbanken kaum mehr eine Rolle spielen. Deshalb hat auch die Krisenanfälligkeit des Systems massiv zugenommen.» Mit gravierenden Folgen: Wenn die Immobilien- und Finanzblasen platzen, wie es bei der Finanzkrise 2007 der Fall war, leidet die gesamte Wirtschaft darunter.

Zinsverbot in der Bibel
Schon die Bibel setzt sich an verschiedenen Stellen ablehnend mit Zins- und Geldgeschäften auseinander. Auch der bedeutende Schweizer Theologe Leonhard Ragaz habe auf die Problematik hingewiesen, so Schäfer. «Mich stört am meisten, dass im heutigen Finanzsystem die Mehrheit der Menschen keine Rolle mehr spielt.» Die Vermögen und Gewinne durch den Zinseszinseffekt konzentrierten sich auf wenige Personen. Durch Einführung des Vollgeldes, so Schäfer, würde nur noch die Nationalbank vom Erlös des in Umlauf gebrachten Geldes profitieren. Das würde dem Staat bedeutende Einnahmen bescheren, die er an Bund und Kantone ausschütten könnte und die so der Allgemeinheit zugute kämen, «anstatt wie zurzeit nur den Banken und privaten Investoren», so der Theologe.

Prominente Unterstützer
In diesen Tagen beginnen die Unterstützer der Vollgeld-Initiative damit, Informationsveranstaltungen zu organisieren und Unterschriften zu sammeln. Prominente wie Emil Steinberger oder Linard Bardill treten für den Reformvorschlag ebenso ein wie namhafte Wirtschaftswissenschafter. Trotz allem Idealismus bleibt Wini Schäfer dennoch auf dem Boden der Realität. «Ob die Vollgeld-Initiative schliesslich an der Urne angenommen wird, ist mir gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist es , dass wir überhaupt über Geld und seine Bedeutung in unserem Leben zu reden beginnen.» Hier sieht er eine Aufgabe für die Kirche: «Mit dem Thema Geld und der Furcht, es zu verlieren, sind viele Ängste verbunden. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir oft Sklaven des Konsums sind dort ist unser Herz häufig hängen geblieben.» Doch Vergänglichkeit, auch die des Geldes, gehöre zu unserem Leben in dieser von Gott geschenkten Schöpfung. «Wo wir dem nicht Rechnung tragen», so der Theologe, «müssen wir mit schmerzlichen Erfahrungen rechnen.»


Vollgeld
Nur die Nationalbank darf Noten und Münzen in Umlauf bringen. Sie ist aber nicht die einzige Bank, die neues Geld schöpft. Private Geschäftsbanken vermehren die Geldmenge, indem sie Kredite vergeben, denen weder Spareinlagen noch Notenbankgeld gegenüberstehen. Dieses virtuelle Buchgeld macht heute etwa 90 Prozent der Geldmenge aus. Die privaten Banken vergrössern die Geldmenge selbstständig - die Vollgeldinitiative möchte das stoppen.

Annette Meyer zu Bargholz

Links:
Weitere Informationen: www.vollgeld.ch

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