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«Der Ball ist magisch aufgeladen»

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01.01.2016
Pfarrer und Ottmar-Hitzfeld-Biograf Josef Hochstrasser über Fussball und Religion. Für ihn hat der Sport etwas Magisches.

Herr Hochstrasser, in einem Monat werden Millionen Menschen in den Stadien und am Fernseher die Fussball-WM verfolgen. Warum zieht uns diese Sportart derart in ihren Bann?
Das liegt an der Einfachheit des Fussballs. Gerade im Vergleich mit der Kirche, die in ihren Ideen, Dogmen und Lehrmeinungen manchmal kompliziert ist. Fussball ist einfach: Jeder versteht, was auf dem Feld geschieht. Wenn der Ball beim Anpfiff in der Mitte liegt, kann man beinahe von einer Offenbarung reden, von der man jedoch nicht weiss, wie sie endet. Schon die nächsten Sekunden können grosse Überraschungen bringen. Das ist das Faszinierende am Fussball.

Sie behaupten, Fussball sei eine Art Religion.
Das lege ich seit zwanzig Jahren öffentlich dar. Fussball ist für mich eine Primärform der Religion. So wie naturreligiöse Menschen in der Vergangenheit eine Quelle aufsuchten und auf den Geist der Quelle hofften, so ist der Ball eine Quelle. Der Ball ist mehr als rundes Material. Er ist magisch aufgeladen. Diese Magie offenbart uns der Ball in den neunzig Minuten des Spiels.

Welche Botschaft offenbart sich im Ball?
Freue dich! Das Leben ist nicht nur Mühsal, es ist auch Lust, Ekstase und ein Angebot zur Verständigung unterschiedlichster Menschen.

Der Fussball hat auch eine soziale Botschaft?
Ja. Wenn der Reiche neben dem Armen in den Stadien sitzt oder sie im Team auf dem Platz dem Ball hinterherjagen. Doch Fussball hat nicht nur eine soziale, sondern auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Das erleben wir zurzeit in Brasilien. Der Fussball bietet ein Forum, in dem die wirtschaftspolitischen und sozialen Probleme an die Oberfläche treten. Ohne den Confederation Cup vor einem Jahr oder die Weltmeisterschaft würde kaum jemand von der wirtschaftlichen Misere des Landes sprechen.

Die Menschen protestieren jedoch in den Strassen Brasiliens gegen die Fussball-WM.
Natürlich kann man in diesem Zusammenhang die ganze Korruptheit des Fussballs nennen. Nur greift das zu kurz. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die soziale Ungerechtigkeit gibt es in Brasilien seit langem. Jetzt kommen sie auf Tapet.

Die Fifa gibt Millionen aus, um den Frauenfussball in den afrikanischen und islamischen Ländern zu fördern. Ist dies nicht westlicher Kulturimperialismus, wenn Frauen jetzt beginnen, in Saudi-Arabien Fussball zu spielen?
Sie nennen Saudi-Arabien und Frauenfussball. Das ist bis jetzt eine Utopie. Frauenfussball muss gefördert werden. Er kann einiges zur Gleichberechtigung der Geschlechter beitragen. In dieser Beziehung stehen wir auch in der Schweiz erst am Anfang: Wenn die Nationalmannschaft der Männer spielt, dann sind die Medien präsent. Wenn jedoch die Frauen antreten, ist wenig los. Das hat nichts mit der Qualität des Frauenfussballs zu tun, der durchaus attraktiv ist.

In den Medien reden Fussballstars immer wieder über ihren Glauben. Herr Pfarrer, macht Fussball gläubig?
Das Evangelikale taucht auch im Sport auf. Etwa wenn ein Spieler wie Cacau auf dem Fussballplatz seinen Glauben mit dem Spruch «Jesus lebt und liebt dich» auf seinem Leibchen öffentlich darstellt. Er benutzt den Fussball als Plattform. Ein solcher Auftritt ist nicht ein typisches Phänomen des Fussballs. Zeugnisse des Glaubens gibt es auch in anderen Bereichen. Die Fifa hat solche Auftritte ja verboten.

Begrüssen Sie dies?
Ja. Ansonsten fängt jeder an, für seine Anliegen auf dem Rasen Werbung zu machen. Solches gehört nicht auf den Fussballplatz.

In Brasilien stossen die Evangelikalen auf grossen Zuspruch. Ihre Kirchen wachsen stark.
Ich denke, das ist eine Reaktion auf die wirtschaftspolitisch schwierige Situation. Die Botschaft der evangelikalen Gemeinschaften verspricht Trost. Sie kann die Gläubigen wie eine Droge zudröhnen, sodass sie passiv werden. Die Befreiungstheologie hingegen nimmt die Probleme in die Hand und mischt sich gestaltend in die Gesellschaft und Politik ein.

Sie sind bekannt als Biograf von Ottmar Hitzfeld. Was raten Sie dem Schweizer Nationaltrainer für die Weltmeisterschaft?
Ottmar Hitzfeld hat im Fussball alles erreicht und viele Titel gewonnen. Er muss jetzt auf seiner letzten Wegstrecke das mobilisieren, was ihn stark gemacht hat: Seine Zuverlässigkeit und seinen grandiosen Fussballverstand.

Wie sieht es für die Nationalmannschaft aus?
Sie wird das Viertelfinal erreichen. Dann ist aber Endstation.

Interview: Tilmann Zuber


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