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«Religiöse PC-Games machen keine Gläubige»

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01.01.2016
Der Religionswissenschaftler Oliver Steffen von der Universität Bern erforscht die Zusammenhänge von Computerspielen und Religion. Im Interview sagt er, warum sich die Kirche den Gamern annehmen sollte und weshalb die Spielentwickler nicht mehr so stark bei Religionsthemen auf Gewalt und Polemik setzen.

Herr Steffen, was verstehen Sie unter dem Begriff «religiöse Games»?
Ich verstehe darunter Games, die die Lehren und Werte einer religiösen oder spirituellen Tradition vermitteln möchten. Sie sind eine Nische. Das meiste Material liegt in Bezug auf die christliche Religion vor. Christliche Games sind in den letzten Jahren verstärkt in der Form von simplen und witzigen Gelegenheitsspielen oder Social Games auf PCs und mobilen Geräten präsent. Dies entspricht zwar einem allgemeinen Trend, hat aber auch damit zu tun, dass wenig in die christliche Gameindustrie investiert wird und Entwickler auf Plattformen mit kostenlosem oder günstigem Zugang angewiesen sind.

Ist die Zielgruppe der Gamer für die Kirche überhaupt relevant?
Ich nehme an, dass es für die Kirche relevant ist, ihre Botschaft allen Menschen anzubieten. Dabei holt sie die Leute mit Vorteil dort ab, wo sie stehen. Viele Menschen sind heute durch neue Medien sozialisiert, auch Games sind ein Teil der Lebenswirklichkeit von vielen. Die Kirche muss aufzeigen können, dass die 2000 Jahre alte Lehre, die sie vertritt, auch für die Menschen in diesen heutigen Lebenswirklichkeiten von Bedeutung ist. Neue digitale Medien - auch Games - zu thematisieren und damit zu arbeiten ist ein Schritt in diese Richtung.

Würden Sie einem Pfarrer empfehlen, mit Konfirmanden religiöse Games zu spielen?
Ich würde eher empfehlen, Games zu thematisieren, die die Jugendlichen in ihrer Freizeit spielen. Viele dieser Spiele vermitteln religiös inspirierte Weltbilder und über diese lässt sich nachdenken. Solche Spiele im Unterricht zu spielen, ist jedoch sehr aufwändig. Vielleicht könnte der Pfarrer die Jugendlichen darin begleiten, relevante Spielszenen zu finden, Überlegungen dazu anzustellen und sie in einer bestimmten Form zu präsentieren. Ein Spiel lässt sich auch im Plenum diskutieren, oder in ein Theaterstück umwandeln, wo dann auch ein Bezug zur Lebensrealität der Jugendlichen geschaffen wird. Zwar sind die Jugendlichen die Experten, doch ist es wichtig, dass sich die Lehrperson selbst über die betreffenden Spiele informiert und auch die Alterskennzeichnung berücksichtigt.

Welches Potenzial zur religiösen Bildung schlummern in den Games?
Von religiösen Games selbst darf man nicht zuviel erwarten: Sie machen aus den Spielenden weder Gläubige, noch können sie das religiöse Wissen oder die religiöse Praxis wirklich vertiefen. Im besten Fall vermitteln sie Einblicke in zentrale Geschichten, Werte und Symbole einer Religion. Das Potenzial der Spiele - sowohl der religiösen wie der säkularen - liegt eher darin, einen Zugang zur Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen zu schaffen.

Aber im Gottesdienst ist das Thema ungeeignet?
Das hängt sicher von der Offenheit der Pfarrperson und der Gemeinde ab. In den USA gibt es Empfehlungen, Referenzen nicht nur auf Filme, sondern auch auf Games in die Predigt aufzunehmen. Das funktioniert zumindest im freikirchlichen Umfeld gut, wo die Arbeit mit Massenmedien, aktuellen Trends und Jugendlichen besonders gepflegt wird. Denkt man hingegen an einen regulären landeskirchlichen Gottesdienst, wo weder die Pfarrer noch die häufig älteren Gemeindemitglieder viel mit Games am Hut haben, scheint das Thema tatsächlich ungeeignet.

Vor Jahren haben Muslime das Game «Faith Fighter» kritisiert, weil Mohammed bildlich dargestellt wurde. Wie stark dürfen die Games provozieren?
Das Medium der Games hat als Gegenkultur begonnen und provozierte immer wieder mit brutaler Gewalt oder Polemik gegen Religion. Doch die adoleszente Phase ist mittlerweile passé, Games wollen heute als Kunst und Kulturgüter ernst genommen werden. Als solche dürfen sie durchaus provozieren, aber es reicht nicht mehr, nur Lärm zu machen. Zum Reifeprozess gehört von mir aus gesehen auch ein Zeichen der Entwickler, dass über die Wirkung nachgedacht wurde oder dass ein Dialog gesucht wird. Wie im Fall von «Faith Fighter», wo die Entwickler auf die Kritik reagiert und eine zensierte Version des Spiels herausgegeben haben, in welcher Mohammeds Gesicht verdeckt ist.

Das Interview wurde schriftlich geführt.



Das empfiehlt der Profi: Religiöse Computergames für Anfänger und Fortgeschrittene
Religiöse Lernspiele, die von allen gespielt werden können, sind typischerweise die Bibelquiz-Spiele («Relispiele», die «Biblionär»-Spiele u.a.). Etwas aufwändiger sind einige Lernspiele der Evangelische Kirche in Deutschland: die «Bibel-Expedition» und «Calvin» sind interessant und abwechslungsreich. Auch «AT-Helden» von Andreas Schmidt ist ansprechend. Religiöse Spiele, die typische Game-Mechaniken übernehmen und sich eher für Fortgeschrittene eignen, sind z.B. die Abenteuerspielreihe «Adam's Venture» sowie die Abenteuerspiele der Deutschen Bibelgesellschaft - «Das Jesus-Pergament» und «Das Grab des Mose», die allerdings technisch veraltet sind. Im englischsprachigen Bereich lassen sich das bildgewaltige Abenteuerspiel «Heaven», das Social Game «Journey of Jesus» sowie die Strategiespielreihe «Left Behind» nennen. Diese sind dann allerdings missionarisch ausgerichtet.

Zur Forschungswebseite (www.god-mode.ch)

Zum Bild: Game-Profi Oliver Steffen sitzt längst nicht nur vor dem PC: «Zur Entspannung gehe ich spazieren, meditiere, schaue einen Film oder spiele auch mal ein klassisches Spiel wie Backgammon mit meiner Partnerin.»


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Matthias Böhni / ref.ch

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