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Montagskrimi: War es Mord?


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01.01.2016
Von Ulrich Knellwolf Es gibt kaum etwas Widerwärtigeres in einer Kirchgemeinde als den Streit zwischen Kirchenpflege und Pfarrer, wenn beide Seiten sich ineinander verbeissen.

In Fröhligen wars dazu gekommen, und niemand begriff recht, warum es so heftig geworden war. Eines Tages hatte es wie aus heiterem Himmel wegen einer Kleinigkeit gefunkt, und innert kürzester Zeit brannte das Haus lichterloh.
Paul, der Pfarrer, und Peter, der Kirchenpflegepräsident, waren Freunde gewesen, schon von der Schulzeit her. Nach der Pensionierung des alten Pfarrers hatte Peter seinen Schulfreund Paul angefragt, ob er nach Fröhligen komme, und Paul hatte mit Freuden ja gesagt. Die ersten Jahre war es ausgezeichnet gelaufen. Die beiden zogen am selben Strick; die Kirchgemeinde blühte.
Doch dann gab es unversehens Streit. Wie fast immer in solchen Fällen wegen einer Lappalie. Paul beschloss in eigener Regie, im Abendmahl an Pfingsten Wein auszuschenken statt, wie in Fröhligen seit Jahrzehnten üblich, alkoholfreien Traubensaft. Es war kein Grundsatzentscheid von Pauls Seite, eher eine momentane Laune, weil der süsse, klebrige Saft ihm nicht schmeckte.
Doch hatte Paul nicht mit dem Sigristen gerechnet, der ein strikter Abstinent war und die Sache am Freitagabend vor Pfingsten Peter, dem Kirchenpflegepräsidenten, hinterbrachte. Und Peter, wer weiss, wovon genervt, rief auf der Stelle Paul an, machte ihn ziemlich ruppig darauf aufmerksam, dass die Frage, ob Wein oder Traubensaft im Abendmahl, Sache der Kirchenpflege sei, dass es dem Pfarrer nicht zustehe, an der Pflege vorbei darüber zu entscheiden, und dass selbstverständlich an Pfingsten wie in jedem andern Abendmahl Traubensaft ausgeschenkt werde. Paul, der noch an der Pfingstpredigt schrieb, gab genervt zurück, ob das ein Verbot sein solle. Wenn ja, dann werde er sich nicht daran halten. Worauf Peter ins Telefon wetterte, Paul nehme sich schon zu lange viel zu viel heraus, und Paul zurückwetterte, Peter spiele sich als Chef des Pfarrers auf. Fazit: Beide brachen das Gespräch gleichzeitig ab.
Das sollte aber das einzig Gemeinsame bleiben. Denn am Pfingstsonntag, als Peter in die Kirche kam, um bei der Verteilung des Abendmahls zu helfen, und sah, dass Wein bereitstand statt Traubensaft, machte er rechtsumkehrt und ging hinaus. Auf den Pfingstdienstag berief er eine Kirchenpflegesitzung ein, ausdrücklich ohne Paul, und da wurde beschlossen, Paul wegen seines renitenten Verhaltens einen schriftlichen Verweis zu erteilen. Darin stand die Bemerkung, dass Paul ja in seiner früheren Gemeinde auch schon Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Kirchenpflege gehabt habe.
Jetzt wurde Paul richtig zornig. Zu Peter zu gehen weigerte er sich, obwohl eine Stimme in ihm flüsterte, dass es das Klügste wäre. Dafür liess er in einer Mitarbeiterkonferenz seinem Zorn freien Lauf. Er verwahre sich gegen Peters moralische Vorwürfe. Der Kirchenpflegepräsident solle vor der eigenen Tür wischen. Wenn einer Dreck am Stecken habe, wäre es gescheiter, zu schweigen.
Selbstverständlich waren alle neugierig, was Paul gemeint und was Peter ausgefressen habe. Und selbstverständlich fand ein neugieriger Maulwurf in einer zwanzig Jahre alten Lokalzeitung des Ortes, wo Peter und Paul aufgewachsen waren, einen kurzen Bericht, aus dem hervorging, dass Peter als Einundzwanzigjähriger wegen eines Diebstahl vor dem Richter gestanden hatte. Es war keine grosse Sache gewesen, aber das kümmerte in Fröhligen niemanden. Wie ein Lauffeuer gings durchs Dorf, dass man einen verurteilten Dieb zum Kirchenpflegepräsidenten habe. Dieser selbst hörte es noch gleichentags, fuhr, statt heimzugehen, am Abend in die Stadt, betrank sich, setzte sich ans Steuer, kam von der Strasse ab, prallte in einen Baum und war tot.
«Pfarrer, du bist ein Mörder», schrie am Tag darauf eine anonyme Stimme ins Telefon. «Lies Matthäus 5, die Verse 21 und 22.» In der darauf folgenden Nacht träumte Paul, er stehe vor Gericht, und der Richter verurteile ihn wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft. Als er am Morgen erwachte, staunte er, dass er keine Handschellen trug.
Nach dem Morgenessen ging Paul ins Studierzimmer, um Texte und Lieder für den nächsten Gottesdienst zu bestimmen. Er wählte als Lesung aus dem Brief an die Galater, Kapitel 2, den Bericht vom Streit zwischen Paulus und Petrus in Antiochia und beschloss, über Römerbrief, Kapitel 3, Verse 23 und 24 zu predigen, wo es heisst: «Alle haben ja gesündigt und ermangeln der Ehre vor Gott und werden gerechtgesprochen ohne Verdienst durch seine Gnade mittelst der Erlösung, die in Christus Jesu ist.»
Am Montag nach dieser Predigt lag ein Blatt in Pauls Briefkasten. Darauf stand in Maschinenschrift mit grossen Buchstaben: «Pfarrer, du bist ein theologischer Schlaumeier. Machst alle zu Sündern, um dich von der eigenen Sünde zu entlasten.»


Ulrich Knellwolf wirkte als Pfarrer, zunächst in Urnäsch und Zollikon, dann an der Predigerkirche in Zürich. Er schrieb unter anderem zahlreiche Krimis wie «Roma Termini», Tod in Sils Maria, Klassentreffen oder Schönes Sechseläuten.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Foto: epd-bild

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