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Glanz und Elend im «pays message»

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01.01.2016
Letzte Woche hat eine Kirchendelegation Libanon bereist und religiöse Führer und Flüchtlingsfamilien besucht. Matthias Böhni von ref.ch hat die Delegation begleitet und berichtet aus einem ebenso vielfältigen wie gefährdeten Land.

Montag, 23. November
Nähert man sich mit dem Flugzeug, taucht sie plötzlich auf. Die Skyline einer mächtigen, grossen Stadt wächst aus dem Meer, im Vordergrund zwei Felsklippen wie gezogene Zähne. Beirut war das Paris des Orients, aber 15 Jahre Bürgerkrieg haben die Stadt schwer beschädigt. Libanon gilt als die Schweiz des Nahen Ostens, doch das Land ächzt: ein Viertel der Fläche der Schweiz, aber mit 4 Millionen Einwohnern und 1,5 Millionen Flüchtlingen. Das Nachbarland Syrien ist zerfallen, Terroristen der Al-Nusra-Front und des «IS» bedrohen ­Libanon. 12 Millionen Libanesen leben im Ausland.

Gesichts- und lieblos wirkt Beirut heute. Der Verkehr dicht und zäh wie Lava, Hupkonzert und Stau den ganzen Tag, öffentlichen Verkehr gibt es nicht. Die Delegation erreicht am Abend Antelias, einen Vorort im christlichen Teil von Beirut. Dort ist der Sitz der armenisch-orthodoxen Kirche von Kikilien, und dort hat die Delegation ihre Basis.

Dienstag, 24. November
Wir besuchen im Vorort Harissa den päpstlichen Nuntius, der einen Crashkurs zu Libanon gibt. «Das politische System beruht auf einer doppelten Negation: Es gibt keine Theokratie und keinen Laizismus à la Frankreich», erläutert er. «Dafür gibt es 18 Religionsgemeinschaften, alors cest un peu compliqué.» Und keine sei in der Mehrheit. «Die Gesetze, die das Erben, Heiraten oder Scheiden betreffen, gelten nur für die entsprechenden Gemeinschaften. Alle anderen Gesetze gelten für alle», sagt der Nuntius. Wer konfessionsfrei heiraten möchte, könne dies im Ausland tun. Die Heirat werde anerkannt.

Niemand wolle im übrigen, dass die Christen den Nahen Osten verlassen. «Herrscht denn Frieden, wo keine Christen mehr sind?» Die Muslime hätten Angst vor den Extremisten, nicht vor den Christen. Und dank den Christen habe Libanon viel erreicht. Es sei ein «pays message», ein Land mit der Botschaft, wie Christen und Muslime zusammenleben können. «Der Orient ist hier mit dem Okzident verbunden: Man kann den Glauben behalten und trotzdem modern sein. Voilà ça cest un peu le cadre», resümiert der Nuntius.

Mittwoch, 25. November
Das Zimmer ist höchstens 25 Quadratmeter gross. Ein einziges Fenster lässt kaum Licht herein. Teppiche und Matratzen am Boden. Ein TV läuft stumm. Wir sind in Zahle, einer christlichen Ortschaft im Bekaa-Tal, 20 Kilometer vor der syrischen Grenze. An den Wänden sitzen drei Kinder, drei Männer und drei Frauen. Sie sind aus Syrien geflüchtete Christen. Der Kameramann, der fürs Schweizer Fernsehen filmt, muss draussen bleiben.

Einer der Männer erzählt auf Arabisch, dass ihn die Al-Nusra-Front entführt habe. Für das Lösegeld musste die Familie 20 000 Dollar bezahlen. Die Tochter erkrankte an Diabetes. Eine Frau ist schwanger, ihr Mann noch in Syrien. Die Gesichter sind leer, traurig, ernst. Ein vierjähriges Mädchen mit einer Schleife im Haar zeichnet etwas in die Luft.

«Wir wollen hier weg», sagt eine der Frauen. Frauen würden hier nicht mit Respekt behandelt, es gebe keine Zukunft. Christen würden zudem von der Uno nicht unterstützt, weil sie nicht in Lagern lebten. Für diesen Raum bezahle man 250 Dollar Miete monatlich. Die Delegation hört zu, stellt Fragen, ist hilflos. Schliesslich beten alle ein Vaterunser auf Arabisch.

Die Christen seien das «sel du Liban», das Salz des Libanon, erzählt John Darwish, Erzbischof der griechisch-melkitisch-katholischen Kirche. Die Delegation besucht ihn in seinem Palast in ­Zahle. «Die Muslime respektieren uns, wir sind ja mit ihnen hier aufgewachsen.» Ob er keine Angst vor dem «IS» habe? Vor kurzem seien «IS»-Kämpfer mit Mörsern auf den Bergen vis-à-vis gewesen, das sei ungemütlich gewesen. Aber die libanesische Armee habe sie zurückgedrängt. «On a beaucoup déspoir maintenant.»

Unterdessen ist es dunkel und kalt, das Bekaa-Tal liegt auf rund 900 Metern. Die Delegation fährt zu einem Flüchtlingslager. «Cest dangereux ici. Ne restons pas trop longtemps», mahnt jemand. Das Lager besteht aus 30 Zelten mit rund 300 Bewohnern, davon etwa 250 Kinder. Auch eine Schule befindet sich in einem Zelt. Der Lagerchef zeigt uns ein Zelt. Kinder rennen herum. Die Wege zwischen den Zelten verlieren sich im Dunkeln. Es riecht nach Essen. Schilder von Unicef, «Save the children» und «Medair» stehen vor dem Eingang.

Donnerstag, 26. November
Er residiert in einem Palast in Beirut, umgeben von Sicherheitsleuten, trägt einen weissen Turban und spricht in kurzen, fast geflüsterten Sätzen. Der Sunniten-Scheich Deriane ist der Mufti der Republik, und einer von drei religiösen Würdenträgern. Man habe lange ein harmonisches Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen erlebt, erzählt Deriane, der Konflikt sei nicht zwischen ihnen. Die Terroristen beriefen sich auf den Islam, aber hätten nichts mit ihm zu tun. Was sie täten, sei Blasphemie. Sie wollten den Hass gegen den Islam in Europa schüren, aber er bitte darum, wegen der Terroristen kein negatives Urteil über den Islam zu fällen. Er sei glücklich über
die muslimisch-christlichen Verbindungen im Libanon.

Schliesslich fahren wir nach Südbeirut zum Schiiten-Scheich Kabalan. Seine Residenz ist ein schwerbewachter Bunker. Das ­ärmere Südbeirut unterscheidet sich markant vom christlichen Beirut, die Frauen sind verhüllt, und hier in der Nähe explodierte vor drei Wochen eine Bombe, die 40 Menschen tötete. In Kabalans Residenz wird einem mulmig, grimmige Sicherheitsmänner verströmen kaum Zuversicht. Kabalan hat gesundheitliche Probleme. Er rezitiert Verse, auf Fragen geht er selten ein.

Am letzten Abend geht die Delegation im christlichen Beirut essen. Das Restaurant ist chic, die Frauen sind aufgemacht, es wird entspannt Shisha geraucht, und protzige Geländewagen versperren den Eingang. Glanz und Elend sind in Libanon nahe beieinander.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Die Delegation
In der Delegation waren Kirchenbundspräsident Gottfried Locher und der Prä­sident der Bischofskonferenz, Markus ­Büchel, sowie Serge Fornerod (Leiter Aussenbeziehungen des Kirchenbunds), Erwin Tanner (Sekrektär der Bischofskonferenz), Walter Müller (Informa­tionsbeauftragter der Bischofskonferenz), Jacques Berset (cath.ch) und Matthias Böhni (ref.ch). Die Delegation hielt am ­26. November eine gut besuchte Abschluss-Pressekonferenz und ver­öffentlichte eine ökumenische Erklärung zur Religionsfreiheit.


Zum Bild: Die Skyline von Beirut
Foto: Matthias Böhni/ref.ch

Matthias Böhni / ref.ch / 4. Dezember 2015

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