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Vom «Berner Haus der Religionen» lernen

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01.01.2016
Das «Haus der Religionen» war am vergangenen Dienstag Tagungsort von Sozialarbeitenden. Was hat religiöser Dialog mit Gesundheitsförderung bei Migranten gemeinsam? Einiges, wie ein Besuch des Anlasses zeigt.

«Mi Vatter isch en Appezeller/ i olou ioulou uh/ er isst de Chäs mitsamt em Teller... i olo u iolo u du.» Wer wie eine Schweizerin tönt und auf dem Papier Schweizerin ist, geht trotzdem noch lange nicht als Schweizerin durch wenn die Hautfarbe nicht stimmt. Im Experimentalvideo «Not Swiss Made» spielt die schwarze Künstlerin Yvonne Apiyo Braendle-Amolo mit der Schwierigkeit von Zugewanderten, in der Schweiz Fuss zu fassen: Ihr Ehemann will sich nach neun Jahren Ehe scheiden lassen, weil sie zu schweizerisch geworden ist. Die Ausländerbehörde will ihr die Staatsbürgerschaft entziehen, weil sie zu wenig schweizerisch ist. Und das nach zwölf Jahren Schweiz. Deshalb jodelt und schluchzt die in Kenia geborene Braendle-Amolo in die Kamera, während sie sich ein Schweizerkreuz auf die linke Backe malt.

Chai, Curry und Kaffee
Braendle-Amolos Dreiminutenclip eröffnet das Abschlusspodium einer Tagung von Sozialarbeitenden im «Haus der Religionen». Thema: Prävention und Gesundheit im Migrationskontext. Über 80 Teilnehmende sind da, Stimmengewirr im Foyer und in den Fluren, reger Austausch auch beim Mittagessen, das vom hauseigenen Restaurationsbetrieb «Vanakam» zubereitet wird, es riecht nach Chai, Curry, Kokosmilch, später nach Kaffee.

Religiöser Dialog als «Best Practice»
Gesundheit und Prävention im «Haus der Religionen»? Was hat interreligiöser Dialog mit Gesundheitsförderung bei Migranten zu tun? Iwan Reinhard von der aebi-hus- Stiftung für Suchthilfe ist Organisator der Tagung - und sehr zufrieden mit der Wahl des Ortes: «Das Haus der Religionen ist ideal für eine Tagung über soziale Arbeit im transkulturellen Bereich.» Denn in der Tat sei das Haus der Religionen selber ein «Best Practice» -Beispiel in Sachen interkultureller Zusammenarbeit und Integration.

So findet am Nachmittag ein Workshop für Tagungsteilnehmende im Moscheebereich des Hauses der Religionen statt, in dem Leiter und Imam Mustafa Mehmeti gemeinsam mit Gerda Hauck, Präsidentin des Vereins «Haus der Religionen» von der Entstehung des Projekts, den Erfahrungen in der interreligiösen Zusammenarbeit, und der Wahrnehmung des «Haus der Religionen» als Begegnungsort berichten. Die wichtigste Bedingung für eine gelingende Begegnung, so Mehmeti, sei Offenheit. Zwischen den Kulturen, aber auch innerhalb der Kulturen. «Ich muss als Imam und Leiter der Moschee signalisieren: ich bin offen.»

«Ich kann diesen homosexuellen Mann nicht verurteilen»
Und er bringt gleich ein unerwartetes Beispiel. So sei etwa vor einer Woche ein junger albanischer Mann zu ihm gekommen, um mit ihm, dem praktizierenden Muslimen und Imam, über seine Homosexualität zu sprechen: «Da kann ich diesen Mann doch nicht verurteilen, auch wenn es von theologischer Seite Einwände gäbe. Doch das ist sekundär. Ich höre ihm zu. Sehe ihn als Menschen. Es geht um Menschlichkeit. Das ist für mich keine Frage der Religion, der Theologie, oder der Kultur.»

Das «Haus der Religionen» ist ein «grass-roots-Projekt
Auch Gerda Hauck, die vor ihrem Engagement im «Haus der Religionen» lange Jahre Integrationsbeauftragte der Stadt Bern war, betont: «Egal ob in der Integrationsarbeit oder im interreligiösen Dialog es braucht Vertrauen. Ich muss glaubhaft machen, dass ich mich für das Gegenüber interessiere und ihm auf Augenhöhe begegne ohne Vorurteile.» Auch sie bringt ein Beispiel aus der Praxis: Wichtig sei in der Aufbauphase des «Haus der Religionen» gewesen, dass die einzelnen Religionsgruppen im Vorstand des Vereins mehr Mitspracherecht erhalten hätten. «Die Idee entstand Ende der 90er Jahre auf dem Papier. Als Stadtentwicklungsprojekt. Heute ist es ein Ort der Begegnung, des Lernens und der religiösen Praxis, der von Individuen und Gruppen getragen wird.» Es sei ein «grass-roots»-Projekt, das von den Beteiligten mit viel Engagement getragen werde.


Platz erkämpfen
Partizipation, Ernstgenommenwerden, Platz erkämpfen: Auch im Abschlusspodium mit der eingangs erwähnten Yvonne Apiyo Braendle-Amolo und dem syrisch-kurdisch stämmigen Schweizer Filmer Mano Khalil stehen diese Punkte im Vordergrund. Braendle-Amolo gewinnt als Künstlerin internationale Preise, Khalils neuester Film «Die Schwalbe» eröffnet heute die Solothurner Filmtage. Der Film handelt von einer jungen Bernerin, die sich auf die Suche nach ihrem unbekannten kurdischen Vater nach Syrien begibt. Beide Kunstschaffenden setzen sich mit der prekären Identität von Migranten auseinander. Und beide sprechen im Podium aus eigener Erfahrung über die rechtlichen, aber auch sozialen Hindernisse und Diskriminierungen, denen Eingewanderte und Secondos in der Schweiz begegnen.

Kultur ist relativ, Bürgerrechte nicht
Die Tagungsteilnehmenden waren sich einig: Transkulturalität, das Eingehen auf kulturelle Besonderheiten ist wichtig in der sozialen Arbeit mit Zugewanderten. Aber ebenso wichtig ist die Feststellung, dass Kultur und Religion nicht in Stein gemeisselt sind. Dies zeigt der pragmatische Umgang von Imam Memeti mit dem jungen, homosexuellen Mann. Und Nationalität und Angenommensein sind keine Frage von Herkunft und Hautfarbe. Dies zeigt das Video der Künstlerin Yvonne Braendle. Diese beiden Einsichten sind nicht nur für Sozialarbeitende relevant. Sie erhalten auch Gewicht im Hinblick auf gegenwärtige politische Diskussionen. Kultur ist relativ. Bürgerrechte sind es nicht.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Zum Bild: Mano Khalil und Yvonne Apoiyo Brändle-Amolo sind zwei Kulturschaffende, die wissen, wie es ist, als Zugewanderte in der Schweiz zu sein. Und was es braucht, um in der Schweiz Fuss zu fassen.
Foto: ref.ch/Susanne Leuenberger

Susanne Leuenberger / ref.ch / 21. Januar 2016

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